In einem früheren Blog-Eintrag1
hatte ich mich mit einem kurzen Text aus Giorgio Agambens
Sammelbändchen „Profanierungen“ befasst. Ich möchte darauf
zurückkommen, das Thema nun aber weiträumiger zu fassen
versuchen.
Profanierung meint Entweihung,
Entheiligung, Verweltlichung des Sakralen.
Das Christentum (wie auch das
Judentum) anerkennt in erster Näherung nur Gott allein und die,
die an ihn glauben, als heilig: „Seid heilig, denn ich, der Herr,
euer Gott, bin heilig.“ (Lev 19,2) Dass darüber hinaus auch Orte,
Gebäude oder Bücher als heilig angesehen und verehrt werden, dürfte
dem Wunsch geschuldet sein, dass der Ort der Huldigung des Heiligen
selbst heilig zu sein und die Schrift als Verkündigung von Gottes
Wort ebenso seine Heiligkeit zu übernehmen habe. Auch Gegenständen,
wie dem Kreuz, kann Heiligkeit eignen. Heiligkeit in diesem
erweiterten Sinn bedeutet dann Teilhabe von Orten und Dingen an
Gottes Heil. Damit zieht, nebenbei gesagt, ein Hauch von Pantheismus
in das monotheistische Kirchengebäude. Allerdings sind solcherart
Verheiligungen den anderen monotheistischen Religionen ebenso wenig
fremd. Man denke nur an den Umgang der Juden mit der Tora oder an die
Zeremonien der Moslems während des Haddsch in Mekka. Daneben
genießen auch religiöse Rituale, Prozeduren oder Bräuche den
Status der Heiligkeit und werden als Sakramente bezeichnet
(Taufe, Ehe usw.). Heiligkeit ist mithin Ausdruck einer symbolischen
Beziehung zum Göttlichen. Heilig ist, was zwischen Gott und den
Menschen zu vermitteln hilft.
Im engeren Sinne sind, wie ich
glaube, nur Gott selbst, seine „Beamten“2,
die Engel nämlich, und seine Gläubigen wirklich heilig. Auf Erden
gehören nur die Gläubigen zur Gemeinschaft der Heiligen, nur sie
sind Volk Gottes. Davon zeugt wohl auch das Bilderverbot in Ex 20,4.
Denn jeder Gegenstand und jedes Bild, denen Heiligkeit zugesprochen
wird, kann selbst zum Objekt der Vergöttlichung mutieren, so dass
die Gefahr eines Verstoßes gegen das oberste Gebot „Du sollst
neben mir keine anderen Götter haben.“ (Ex 20,3) bestünde. So
verstanden trägt das monotheistische Heiligkeitsverständnis
den Keim der Profanierung von Anfang an in sich, denn anders als die
Polytheismen erlaubt es keinen Wechsel der Heiligkeitssubjekte zu
anderen Heiligkeitsobjekten, sondern nur die komplette Aufgabe
der Heiligkeit selbst, die Profanierung also. Andere
Heiligkeitsobjekte gibt es schlichtweg nicht. Noch einmal: „Du
sollst neben mir keine anderen Götter haben.“ (Ex 20,3) Und
stärker noch: „Er ist Gott, außer dem es keinen Gott gibt.“
(Sure 59,22) Hier findet der von Jan Assmann geprägte Begriff der
Mosaischen Unterscheidung3
seinen tieferen Sinn: Die definitorische Macht des Gebots vom
alleinigen Gott macht den, der sich von diesem Gott abwendet, nicht
zum Anders- sondern zum Ungläubigen. Sie entzieht ihm die
Bürgerrechte in Gottes Volk, übergibt ihn der Vogelfreiheit und
macht ihn so zum Home Sacer4.
Die Abkehr des Einzelnen vom konkreten Gott der Gemeinschaft ist
somit Abkehr vom Heiligen schlechthin. Und da es per definitionem
außerhalb der Gemeinschaft der Heiligen keine Heiligkeit gibt, kann
der Abtrünnige Heil nur in sich selbst finden. Der Homo Sacer
lebt, so lange er noch zu leben hat, in selbstermächtigter
Heiligkeit, die nur aus unheiliger Selbstermächtigung zu
gewinnen ist.
Indem er aber das ihm von der
Gemeinschaft offerierte Geschenk der Heiligkeit qua Teilhabe ablehnt,
gerät er unweigerlich in den Ruch, gemeinschaftlichen Symbolen und
damit gemeinschaftlichen Konventionen grundsätzlich ablehnend
gegenüber zu stehen. Die Gemeinschaft konkludiert aus der Abkehr vom
einen Gott die Abkehr von der Gemeinschaft selbst, denn wenn dem
Abtrünnigen einmal etwas nicht heilig ist, dann besteht Anlass zur
begründeten Vermutung, dass ihm nichts mehr heilig sein könnte –
anything goes, und so bedeutet in den Augen der Gemeinschaft
Profanierung nicht nur Entsakralisierung sondern vielmehr
Entsozialisierung. Im Kern ist Profanierung weniger
Säkularisierung als Individualisierung, und das sich selbst
profanierende Individuum trägt den Spaltpilz der sozialen Zersetzung
in die Gemeinschaft. Und ist es nicht auch so? Wer sich nicht zu
Gott bekennt, bekennt sich entweder zu gar nichts oder, was noch
schlimmer ist, zu Abgöttern, von denen es, weil menschengemacht,
unzählige gibt. Er macht sich damit selbst zum Demiurgen, zum
Schöpfer einer gottlosen Heiligkeit, die heilig aber nur in
dem individuellen Bezug des Profanierenden zu seinen selbstgemachten
Abgöttern ist.
Die europäische Aufklärung ist ein
solches Projekt der Profanierung des gemeinschaftlichen Ganzen.
Ein Ziel der Aufklärung war die Befreiung des Individuums, um es zu
rational begründeter Bestimmung über das eigene Leben zu
ertüchtigen, zur Selbstermächtigung eben. Politisch bewirkte das
Projekt Aufklärung nicht nur die Demokratisierung, sondern auch
die Säkularisierung der Gesellschaften. Das Endstadium dieser
Entwicklung, in das wir wohl spätestens mit dem faktischen Sieg des
Westens über die staatlich organisierte kommunistische
Ersatzreligion eingetreten sind, zeichnet sich nun durch eine alles
erfassende und alles durchdringende Profanierung aus. Wer würde
ernsthaft behaupten, dem postmodernen, partikularisierten, flexiblen
Menschen5,
dem Idealmenschen der Marketingstrategen, der Personalberater,
der Wahlkampfmanager6
wäre auch noch irgendetwas wirklich heilig? Individualisierung
und Profanierung sind zwei Seiten einer Medaille, das eine ist ohne
das andere nicht zu haben. Und wenn hier und da über
Relativismus und Werteverfall lamentiert wird, wobei die
Protagonisten dieser Lamenti von den meisten Beobachtern nur müde
belächelt werden, dann zeigt das nur, wie weit fortgeschritten und
irreversibel der Profanierungsprozess inzwischen ist.
Doch kommen wir wirklich ohne
Heiliges aus? Ich meine: Nein. Und Agamben sieht das in seinen kurzen
Texten wohl ebenso. Ihm geht es um die Rückgewinnung des Heiligen
aus dem Profanen. Auf den ersten Blick scheint dies
widersprüchlich, doch ist es aus Agambens Sicht möglich, denn alles
Profane war vormals Heiliges und trägt immer noch einen heiligen
Wesenskern in sich. Diesen gilt es auszugraben und wieder
nutzbar zu machen, um statt des ursprünglich damit assoziierten
gemeinschaftlichen ein individuelles Heil zu gewinnen. Insofern
für Agamben die Figur des Homo Sacer paradigmatisch ist für
den Zustand des Individuums im 20. /21. Jahrhundert, weist er
ihm die Aufgabe zu, seine, gleich ob gewollte oder ungewollte
Entsozialisierung zur heilenden Selbstermächtigung zu nutzen.
Wenn wir das Heilige brauchen, ist die Rückgewinnung der
Heiligkeit aus dem Alltäglichen ein individueller Akt der
Emanzipation von der Herrschaft des Gewöhnlichen im globalen
Mainstream des anything goes.
2
Giorgio Agamben, Herrschaft und Herrlichkeit. Suhrkamp 2010
3
Jan Assmann, Moses der Ägypter. Fischer 2011
4
Giorgio Agamben, Homo Sacer. Suhrkamp 2002
5
Richard Sennet, Der flexible Mensch. Bloomsbury 2000
6
ders. Die Kultur des neuen Kapitalismus. Bloomsbury 2006
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