Donnerstag, 15. November 2012

Viva la Philosophucion!


Heute, am 15. November 2012, ist der Welttag der Philosophie, ausgerufen vor 10 Jahren von der UNESCO. Den Lesern dieser Seite dürfte nicht entgangen sein, dass ich ein durchaus inniges Verhältnis zu dieser, wie Holm Tetens meint, Disziplin „höherer Ordnung“ [1] habe. (Unwillkürlich muss ich bei dieser Formulierung immer an den Film „Das fünfte Element“ denken, in dem Milla Jovovich von sich sagt: „Bin Wesen höherer Ordnung.“) Insofern ist der heutige Tag auch für mich ein Feiertag, und am liebsten würde ich mich auf eine Parkbank setzen und Wittgenstein lesen. Doch wir haben November, und trotz ungewöhnlich starker Sonneneinstrahlung ist dies in hiesigen Breiten nicht der Monat fürs Verweilen auf Parkbänken. Bei der Festsetzung des Datums hatte die UNESCO offenbar nicht berücksichtigt, dass sich, wie wir von Sokrates und den anderen alten Griechen gelernt haben, am besten im Freien philosophieren lässt und dass auf der Nordhalbkugel entschieden mehr philosophiert wird als auf der südlichen Hemisphäre. Aber vielleicht spielte bei der Datumsfestsetzung auch die besondere Rolle der Deutschen in der Geistesgeschichte eine Rolle, denn der November gilt ja gemeinhin als deutscher Schicksalsmonat. Zudem bietet der November gerade in den nördlicheren Breiten  angesichts der üblicherweise vorherrschenden Witterung ausgiebig Gelegenheit zu innerlichem Sinnieren über Sein oder Nichtsein, und manch ein Sinnierer zieht daraus  handfeste Konsequenzen, was in Einzelfällen auch der Bahn und ihren Passagieren Probleme bereiten kann.
Sei´s drum, es ist Feiertag für die UNESCO und für mich dann eben auch. Aber allzu viele Menschen dürften sich darüber hinaus wohl nicht davon angesprochen fühlen. Wie ich kürzlich  hier geschrieben habe, hat die Philosophie als Wissenschaftsdisziplin  nicht gerade Konjunktur – ganz im Widerspruch zu dem von ihren Vertretern beklagten Gebrauch des Begriffs, worauf ich hier aber nicht weiter eingehen möchte. Zur Unsinnigkeit des inflationären Ge- bzw. Missbrauchs des Philosophiebegriffs ist genug gesagt und geschrieben worden. Stattdessen möchte ich darüber plaudern, welche Rolle die Philosophie für mich ganz persönlich spielt und was mich an ihr seit Jahrzehnten fesselt.
Es begann mit der Physik. Ja, ich wollte mal Physiker werden. An der Physik faszinierten mich weniger die putzigen Experimente, die unsere Lehrer uns vorführten, oder, wie man vielleicht aus der Tatsache schließen könnte, dass später eine Art Mathematiker aus mir geworden ist, die Formeln, aus denen man schwuppdiwupp die Weltbewegungen herleiten konnte, nein, mich faszinierten die Großen Fragen nach Raum und Zeit, Materie und Energie, die Fragen danach, woher das alles kommt, wohin es geht und warum es so ist, wie es ist. Ich war ein Träumer, der seine Weltsicht nicht zuletzt aus den Geschichten und Romanen von Stanislaw Lem schöpfte, der über Neutronensterne und Schwarze Löcher las und versuchte, sich vorzustellen, wie es wohl innerhalb einer Schwarzschildsphäre zugehen mochte.
Den ersten dezidiert philosophischen Disput hatte ich mit unserer Lehrerin im reichlich verrufenen Schulfach Staatsbürgerkunde, in dem uns u.a. auch marxistische Philosophie eingetrichtert wurde. Die Diskussion drehte sich um das Verhältnis von Geist und Materie. Ich stellte die Frage, warum man annehmen sollte, dass der Geist nicht materiell sei. Wenn man Materialist wäre, müsse es doch auch eine materialistische Erklärung für den Geist geben. Nun, Kenner der damaligen Verhältnisse wissen, dass dieser Disput nicht zu meinen Gunsten ausgehen konnte, was mir heute umso merkwürdiger erscheint, als, wie ich jetzt weiß, in jenen 1970er Jahren amerikanische und britische Philosophen verschiedene Theorien ausarbeiteten, deren Ziel gerade die Rückführung geistiger Phänomene auf materielle Ursachen war und die u.a. als reduktionistischer Naturalismus oder Physikalismus bekannt wurden. Unsere (pseudo-)marxistische Schulphilosophie steckte zu der Zeit noch tief im 19. Jahrhundert und war über Ernst Häckels „Welträtsel“ wohl noch nicht hinaus gekommen.
Die Philosophie begleitete mich in den folgenden Jahren sowohl als Studienpflichtfach als auch als private Passion. Dort, wo ich studierte, und das lag um einiges weiter östlich als Frankfurt an der Oder, nahm man es mit der Abgrenzung von „bürgerlicher Ideologie“ nicht so genau, und so las und referierte ich Hegels „Wissenschaft der Logik“ oder Spinozas „Ethik“, lernte Freuds Menschenbild kennen und befasste mich mit Ernst Machs Wissenschaftstheorie. Als Doktoranden hatten wir gar ein einsemestriges Seminar zu belegen, das sich in je vier Wochenstunden mit Wissenschaftsphilosophie und Erkenntnistheorie befasste, und dort ging es beileibe nicht um Marxismus. Es wurde gestritten über philosophischen Konstruktivismus, erkenntnistheoretischen Behaviorismus, Utilitarismus u.d.g.m. Dank Poincare und anderen, über die philosophischen Grundlagen der Mathematik sinnierenden Autoren wurde ich schließlich Platoniker. Das heißt, ich glaubte und glaube es irgendwie bis heute, dass da draußen etwas ist, was unabhängig von uns existiert und harrt, als Formel oder Gleichung entdeckt zu werden.
Daneben entwickelte sich eine Vorliebe für philosophisch angehauchte Literatur, Literatur also, die die Großen Fragen stellt, Fragen nach der Natur des Menschseins, dem Verhältnis von geistiger Produktion zur natürlichen Körperlichkeit, der Identität des Subjekts, aber auch nach der Bestimmung der Menschheit als Gattung. Dazu gehörten vor allem die Werke von Jorge Luis Borges, Max Frisch und Fjodor Dostojewski.
Was mich an der Philosophie fasziniert, sind eben diese Fragestellungen. Es geht nicht um die Antworten, die Fragen sind das Entscheidende. Und es ist die Art, wie die Fragen gestellt werden, wie der Philosoph versucht, sich zunächst dem Kern der Frage zu nähern, sie wie ein Forensiker zu sezieren, von allen denkbaren Seiten zu betrachten, Zusammenhänge aufzudecken und sich langsam und behutsam möglichen Antworten zu nähern. Es ist dieser begehbare intellektuelle Prozess, der für mich die Faszination philosophischer Literatur ausmacht. Selten wird ein Ergebnis präsentiert, nie ein endgültiges Urteil. Gesetze gibt es nur als Werkzeuge, nicht als Wahrheiten. Wie die Mathematik ist die Philosophie eine Art Denksport. Es geht darum, seinen Geist maximal zu beanspruchen, um daraus ein Höchstmaß an intellektueller Befriedigung zu gewinnen. Die Metapher vom Denksport passt auch insofern, als es bspw. großes Vergnügen bereitet, beim Laufen auf der Hausrunde nach 20-30 Minuten den Mindflow anspringen zu lassen und dann genüsslich vor sich hin zu denken, während die Beine sich wie von selbst bewegen.
Ich war immer ein Freund eher essayistischer Philosophie, die ja gerade in Deutschland u.a. mit Peter Sloterdijk voluminös (was sich nicht auf die Person bezieht) und öffentlichkeitswirksam vertreten ist. Zur Faszination des Denkens gehört eben auch die Sprache, denn wir denken nun mal in Sprache. Und die Wirksamkeit eines Gedankens hängt nicht unerheblich an seinem sprachlichen Ausdruck. In letzter Zeit aber hat sich ein Interesse am analytischen Zweig der Philosophie entwickelt, also hin zur akademischen und theoretischen Philosophie, die wohl in Kant ihren Stammvater hatte. Dieses neue Interesse hängt damit zusammen, dass sich inzwischen die Großen Fragen ohne Rückgriff  auf die sprachsezierenden Methoden der analytischen Philosophie nicht einmal mehr sinnvoll stellen lassen.  Das alte Körper-Geist-Problem, mit dem (s.o.) auch bei mir alles begann, ist so eine Fragestellung, die sowohl der analytischen Durchdringung (Was ist Geist?) als auch der naturwissenschaftlichen Erkenntnis (Was ist Körper?) bedarf.  Und manchmal zeigen sich dabei ganz spannende Zusammenhänge.
Gestern z.B. kam mir (beim Laufen) der Gedanke, dass die kommunistische Idee von der Abschaffung des Privateigentums an Produktionsmitteln schon deshalb nicht realisierbar sein könnte, weil dem psycho-philosophische Erkenntnisse widersprechen. Aus den Neuro- und Biowissenschaften weiß man, dass jeder Mensch (wie auch jedes hinreichend entwickelte Lebewesen) über ein Körpermodell verfügt. Unsere Selbstwahrnehmung und folglich unser Selbstbewusstsein basieren auf diesem Körpermodell. Gebraucht man ein Werkzeug, und zwar systematisch und zielgerichtet, dann findet ein Prozess der immer besseren Integration dieses Werkzeugs in das Körpermodell statt. Auf einer neuronalen Ebene wird das Werkzeug schließlich zu einem Teil des Körpermodells und damit auch funktional zu einem Teil des Körpers. Sollte man sich nicht fragen, wie es sein kann, dass man mit einem Fahrrad ziemlich genau auf eine enge Durchfahrt zusteuert und dann auch noch ohne anzuecken durch sie hindurch kommt, oder dass man mit einem 1,5 Tonnen wiegenden Auto ohne Einparkhilfe aus einem fast zugestellten Parkplatz wieder hinaus manövriert? Und das sind nur Alltagsbeispiele, die jeder nachvollziehen kann. Akrobaten und Spitzensportler zeigen, wie  perfekt Körper und Werkzeug zu einer funktionalen und auch mentalen Einheit zusammen wachsen können.
Jeder von uns hat Empfindungen, Gefühle, Vorstellungen, Gedanken, ja auch Träume. Und er weiß  oder empfindet es zumindest, dass diese mentalen Phänomene seine eigenen sind. Eigen in dem ganz einfachen Sinn, dass sie privat und nicht öffentlich sind, dass sie mit niemandem geteilt werden müssen. Man kann darüber reden, muss es aber nicht. In der Philosophie gibt es dafür den (nicht wirklich) schönen (und typisch deutschen) Begriff der Meinigkeit [2].  Man spricht in diesem Zusammenhang auch von Qualia und meint damit die individuelle, zutiefst subjektive Qualität eines mentalen Zustands. Zugegebenermaßen habe ich mich längere Zeit schwer getan, diese Qualia als real zu akzeptieren. Es lag außerhalb meiner Vorstellungskraft, dass sich jemand anders selbst anders anfühlt als ich mich selbst anfühle, oder konkret ausgedrückt, dass das Gefühl, ein Paar Langlaufski an den Füßen zu haben, für Petter Northug ein anderes sein könnte als für mich. Doch wenn man Petter Northug so langlaufen sieht, besteht kein Zweifel: Für ihn sind die Bretter definitiv Teil seines Körpermodells geworden und zwar auf eine Weise, die man sich als Außenstehender eben nicht vorstellen kann. 
Wenn es nun in unserer Natur liegt, Werkzeuge in unser Körpermodell zu integrieren und sie uns so anzueignen, wenn es noch dazu unser Bestreben ist, dies immer besser zu tun, und wenn sich in diesem Körpermodell die Meinigkeit des Individuums manifestiert, dann kann von Abschaffung des Privateigentums an Produktionsmitteln keine Rede mehr sein. Was sind Produktionsmittel anderes als Werkzeuge? Sie müssen ja nicht immer materieller Natur sein. Wie uns die Banker und Anleger zeigen, kann auch Geld ein solches Werkzeug sein, das mental in das eigene Selbstmodell (das Körpermodell ist Teil des Selbstmodells) integriert wird: „Ich bin mein Geld.“ Es ist wohlfeil, von der Natur des Menschen zu sprechen, wenn es um die Begründung der Wettbewerbsökonomie geht. Wenn die Dinge aber so liegen, dass wir nur Mensch sein können, in dem wir uns die Dinge aneignen und sie insofern privatisieren, dass wir sie zu immer integrierteren (meinigeren) Bestandteilen von uns selbst machen (egal ob materiell oder ideell), dann erübrigt sich jede Diskussion um Privateigentum: "Ich bin, was ich mir aneigne." Umgekehrt bleibt mir das fremd, was ich mir nicht aneignen kann, sei es aus Unvermögen oder weil man mich nicht lässt. So gedacht, würde - ganz gegen Marx - eher die kommunistische Idee zur Entfremdung führen.
Heute also ist der Welttag der Philosophie. Und das ist gut so, denn die Philosophie, vielleicht das zweitälteste Gewerbe der Welt, hat diesen Feiertag verdient. Dann wollen wir doch feiern, jeder auf seine (Seinigkeits-)Weise, und mit dem bedeutenden TV-Philosophen Oliver Kalkofe ausrufen: „Stösschen!“[3]



[1] Holm Tetens. Philosophisches Argumentieren: Eine Einführung. C.H.Beck 2010
[2] Thomas Metzinger, Subjekt und Selbstmodell. Mentis 1999
[3] Seinerzeit als Aufmunterung geprostet anlässlich eines misslungenen „Wort zum Sonntag“ am Vorabend des Muttertags.

Donnerstag, 1. November 2012

Was Philosophen wissen und was man von ihnen lernen kann von Herbert Schnädelbach


Die akademische Philosophie steckt offenbar in einer Krise. Es ist eine Legitimationskrise, der nicht unähnlich, die den institutionalisierten christlichen Glaubensgemeinschaften seit Jahren zu schaffen macht. Es geht dabei um den Verlust an Deutungsmacht und Deutungshoheit, an Wahrheitsanspruch und realitätstauglicher Sinngebung bzw. schlicht um den Verlust an Bedeutung für und Ansehen in der breiten Öffentlichkeit. Diese Diagnose mag bestreiten, wer auf die als philosophisch deklarierte Ratgeber- und Erzählliteratur (Precht, Schmid) verweist oder sich auf die lauten Großdenker (Sloterdijk, Žižek) beruft. Mir allerdings scheint, dass das gehäufte Auftauchen von Erklärungs- und Rechtfertigungsliteratur in einer Wissenschaftsdisziplin ein untrügliches Zeichen dafür ist, dass ihre Vertreter einen öffentlichen Bedeutungsverlust befürchten bzw. bereits wahrnehmen. Man muss dem Volk erklären, was man tut in seinem (angeblichen) Elfenbeinturm und wozu das gut sein soll. Hier ist nicht der Platz über die Ursachen und Gründe des Bedeutungsverlusts zu räsonieren. Bei den Geisteswissenschaften, zu denen die Philosophie wohl gehört, könnte man u.a. auf den Bologna-Effekt verweisen, sicher aber ist es eine Gemengelage aus vielen politischen, sozialen und auch innerwissenschaftlichen Faktoren.
Zum Genre der Erklärungs- und Rechtfertigungsliteratur gehört in jedem Fall das hier zu besprechende Buch „Was Philosophen wissen und was man von ihnen lernen kann“ des emeritierten Professors der Philosophie an der Berliner Humboldt-Universität Herbert Schnädelbach. Für ein breiteres Publikum hatte sich Schnädelbach vor allem als veritabler Religionskritiker hervorgetan, als er 2000 mit seinem Beitrag „Der Fluch des Christentums“ in der Wochenzeitung Die Zeit zum Auslöser einer öffentlichen Debatte wurde, die er später  mit dem 2009 erschienenen Buch „Religion in der modernen Welt“, voll im Trend (Dawkins & Co.) liegend, weiter beförderte.
Herbert Schnädelbach ist wohl ein Philosoph, der sein Fachgebiet mit heiligem Ernst beackert. Sein Porträtfoto auf dem Schutzumschlag von „Was Philosophen wissen…“ zeigt uns einen Mann, mit dem man - ganz ehrlich - nicht wirklich streiten möchte. 

Herbert Schnädelbach
(c) C.H. Beck

Und so geht es dem Autor in „Was Philosophen wissen...“ darum, der geneigten Leserschaft zu erläutern, dass, anders als noch Kant im „Streit der Fakultäten“ meinte, es zwar viele Philosophen und damit auch viele Philosophien, es aber doch einen knappen Kanon von allgemein akzeptierten und mithin für wahr erachteten grundlegenden philosophischen Tatsachen gäbe, auf den sich alle Philosophen dieser Welt, ungeachtet ihrer sonstigen Differenzen, einigen könnten.  Wo Thomas Nagel in seinen ähnlich angelegten Betrachtungen „Was bedeutet das alles?“ sich in angelsächsischem Understatement darauf beschränkt, die Probleme zu skizzieren, verschiedene Meinungen zu referieren, um jedes Mal zu dem erfahrungsgemäß sicher sinnvollen Schluss zu kommen, dass es noch viel zu denken gäbe, scheint Schnädelbach, dem Leser gesichertes philosophisches Wissen, um nicht zu sagen philosophische Gewissheit vermitteln zu können.
Dem Autor ist die eingangs erwähnte Rechtfertigungsproblematik der akademischen Philosophie sehr wohl bewusst, und er benennt auch Gründe, wenn er in seiner Einleitung (S.9f) schreibt: „Dass das öffentliche philosophische Interesse und das Interesse an der Philosophie als Fachwissenschaft so weit auseinandergetreten sind, ist darauf zurückzuführen, dass wir in einer wissenschaftlich-technischen Welt leben, in der nur das Gehör findet, was solchen Standards auch genügt. Je stärker die Philosophie bemüht ist, dem zu entsprechen, umso mehr scheint sie dieses öffentliche Gehör gerade zu verlieren – aus Gründen der Verständlichkeit…“ Was in diesen Worten mitschwingt, ist wohl nicht nur ein leichter Hauch von Wehmut  und Nostalgie.
In den folgenden 14 Kapiteln referiert und analysiert Herbert Schnädelbach ausgewählte Problemstellungen der theoretischen Philosophie, wie Sinn und Bedeutung, Subjekt – Objekt, Werte und Normen. In den einzelnen Kapiteln werden zunächst Problembestimmungen und Problemdeutungen vorgenommen, die z.T. auch sprachanalytische Erläuterungen umfassen. Es folgen philosophiehistorische Betrachtungen der Problem- und Erkenntnisevolution, bei denen meist Aristoteles, Hume, Kant und Wittgenstein als stützende Referenzen herhalten. Je nach Betrachtungsgegenstand wird das Kapitel mit einer Diskussion des aktuellen Erkenntnisstandes abgeschlossen, wobei der Autor angibt, was davon gesichertes Wissen ist und dies mit den Worten: „Philosophen können wissen, dass…“ ausdrückt. Schnädelbach ist sich also seiner Sache doch nicht so sicher, wie im Buchtitel behauptet, und das ist gut so. Denn „unser Wissen ist fehlbar“, wie er selbst in der Einleitung (S.14)  betont.
Die Präsentation des Materials und der Darlegungsstil lassen den erfahrenen Hochschullehrer erkennen, wirken mit der immer gleichen Kapitelstruktur aber auf die Dauer etwas ermüdend. Auch wenn Schnädelbach versucht, seiner Darstellung einen propädeutischen Charakter zu verleihen und verständlich zu argumentieren, dem philosophischen Einsteiger ist das Buch nicht unbedingt zu empfehlen. Zu komplex sind die Sachverhalte, zu mäandernd die Argumentationslinien. Auch ist es keineswegs geeignet, der eingangs erwähnten Legitimationskrise der akademischen Philosophie abzuhelfen. Während der Lektüre hat sich bei mir hingegen der Eindruck verfestigt, dass in der deutschen akademischen und theoretischen Philosophie Kant immer noch (oder schon wieder?) das Maß aller Dinge ist. Ob dieser Eindruck hinreichend zu begründen ist, kann ich wegen mangelnder Sachkenntnis nicht beurteilen. Empfehlenswert ist „Was Philosophen wissen…“ für den interessierten und kundigen Leser allemal und trotzdem. Er sollte allerdings bereit sein, Zeit, Geduld und Aufmerksamkeit zu investieren.
Abschließend sei erwähnt, dass Herbert Schnädelbach für sein Buch den diesjährigen Essay-Preis "Tractatus" des Philosophicum Lech erhalten hat.

Herbert Schnädelbach, Was Philosophen wissen und was man von ihnen lernen kann. C.H. Beck, 2012

Der Krieg des Partisanen

Der Krieg der absoluten Feindschaft kennt keine Hegung. Der folgerichtige Vollzug einer absoluten Feindschaft gibt ihm seinen Sinn und seine...