Sonntag, 2. Juni 2013

Drohnen auf dem Mond

Kein Waffentyp, mit Ausnahme vielleicht der vermeintlichen nordkoreanischen und iranischen Atomwaffen, wird gegenwärtig so umfassend diskutiert wie die Drohnen. Die Amerikaner nutzen bewaffnete Kampfdrohnen im Anti-Terror-Kampf zur Elimi­nierung wirklicher oder auch nur vorgeblicher Terroristen, die Israelis setzen Droh­nen gegen die Palästinenser ein, und Bundesoberverteidiger de Maizière hätte gern welche im Arsenal seiner Truppe, ohne allerdings genau angeben zu können, zu wel­chem Zweck. Nicht zuletzt auch das jüngst bekannt gewordene Euro-Hawk-Debakel mit geschätztem Schaden oberhalb einer halben Milliarde Euro hält das The­ma medi­al am Köcheln.
Kampfdrohnen sind ferngesteuerte, mit Raketen oder Bomben bestückte Flugkörper. Daneben sind auch unbewaffnete Aufklärungsdrohnen in Verwendung. Der Begriff Drohne ist dabei etwas irreführend, denn ursprünglich wird bekanntlich die männli­che Honigbiene so benannt, die sich dadurch auszeichnet, dass sie nach an der Bie­nenkönigin getaner Kopulationsarbeit stirbt. Die Drohnen einiger Wespenarten (u.a. Hornissen) machen sich zwar nicht umgehend zu Tode, i.d.R. jedoch ist der Insekten­drohne ein kurzes Einzweck-Dasein beschieden. Nebenbei, dass das männliche Ex­emplar ver­schiedener Insektengattungen grammatikalisch weiblich als „die Drohne“ bezeichnet wird, zeigt ironischerweise, wie auch in Bezug auf Fauna und Flora die Geschlech­terverhältnisse im Sprachgebrauch als Spiegelbild von Herrschaftsverhältnissen erscheinen. Aber zurück zur militä­rischen Drohne. Diese ist hingegen nicht als Einmalwaffe konzipiert - das sind eher die Marschflugkörper, sondern genauso wie ein bemanntes Luftfahrzeug zur Mehrfach­verwendung. Aber egal, die Dinger heißen nun mal Drohnen, und wie stets in solchen Fällen gilt Witt­gensteins, von mir gern zitiertes Diktum: „Die Bedeutung eines Wor­tes ist sein Ge­brauch in der Sprache.“
Die Zweckbestimmung der Kampfdrohnen besteht in der zielgenauen Eliminierung von Ein­zelpersonen bzw., wie die Amerikaner sagen, Individuals. Die Drohne ist also Ersatz für das bislang übliche Einsatzkommando. Steuerung, Identifikation der Ziel­person und Waffeneinsatz erfolgen weitab vom Einsatzziel durch Soldaten an Com­putern in irgendwel­chen Kontrollräumen. Marc Lindemann schreibt: „Bewaffnete Drohnen sind eine Antwort auf den heutigen Krieg, der längst seine Grenzen verloren hat. Gleichzeitig revolutionieren sie ihn, weil sie dafür gemacht sind, einzelne Perso­nen zu identifizieren und zu töten, ohne auch nur einen Schritt auf das Schlachtfeld setzen zu müssen.“1
Nun ist die Zeit gewiss nicht fern, da Drohnen nicht mehr realtime von Menschen gesteuert, sondern vorab mit Zielinformationen gefüttert wer­den und so ihr Ziel auto­nom finden und eliminieren können. Es ist nur eine Frage der Weiterentwicklung von Identifikationssystemen, von Mustererkennungsalgo­rithmen etc., dann werden Schwärme von Drohnen über Konfliktarealen kreisen und selbständig zu­schlagen, sobald das einprogrammierte Muster erkannt wird. Wo­möglich würden der Drohnensoftware auch KI-Elemente beigefügt, so dass die Droh­ne während der Ein­sätze Lernprozesse zur Selbstoptimierung durchlaufen und die gesammelten Er­kenntnisse an ihre Brüder weiter geben könnte. Warum auch nicht?
Andererseits ist es doch offenbar so, dass jede neue Waffe zur Entwicklung einer Ge­genwaffe herausfordert. Wer Machtansprüche hegt, möchte nicht dauerhaft unterle­gen sein. Da die technologischen Kapazitäten der Zielgruppen der aktuellen Droh­neneinsätze für die Entwicklung ech­ter Gegenwaffen nicht ausreichen dürften, wird man auf die Klassiker zurück greifen – Tarnung, Täuschung, Sabotage. Neben den aktuellen Zielgruppen fühlen sich aber auch die nationalstaatlichen Militärorganisa­tionen herausgefordert. Russland, China, Indien und nicht zuletzt Frankreich werden mit Sicherheit eigene Drohnen resp. Ab­wehrdrohnen bauen, und diese werden selbst­verständlich ihren Weg zu den Despoten, Diktatoren und Terroristen dieser Welt fin­den – durch legalen Waffenhandel oder illegale Proliferation. Das Szenario eines Kampfes Drohne gegen Drohne liegt im Bereich des Möglichen oder gar des Wahr­scheinlichen. Willkommen im Krieg der autonomen Automaten. Abgesehen davon, dass, weil menschliche Opfer vermieden werden könnten, die Schwelle für bewaffnete Auseinandersetzungen damit erheblich gesenkt und die Welt wieder in eine Spirale des Wettrüstens einbiegen würde, stellen sich auch moralische Fragen, wie die des amerikanischen Rechtsphilosophen Michael Walzer: „Stellen wir uns eine Welt vor, in der jeder Drohnen besäße – würden wir darin besser leben?“2
Die Implika­tionen solcher Entwicklungen, wenn sie denn konsequent durchgezogen würden, und deren fast unvermeidliche Absurditäten hat Stanislaw Lem (1921-2006) in seinem 1986 erschienenen satirischen Roman „Frieden auf Erden“3 thematisiert, der mir kürzlich in die Hände fiel und den ich, wie mir erst nach der Lektüre und nach ei­nem intensiven Blick ins Bücherregal wirklich bewusst wurde, bereits 1986 gelesen hatte. Der Roman war damals bei Volk und Welt unter dem irreführenden und sicher der Parteizensur geschuldeten Titel „Der Flop“ erschienen. Die Einband-Grafik der DDR-Ausgabe zeigt eine den Mond umgreifende und sich selbst in den Schwanz bei­ßende Echse – ein sehr passendes Symbol für die Kernaussage des Romans.
Lem war sicher einer der scharfsinnigsten Autoren des 20. Jahrhunderts und vom Herrn mit der Gabe der prognostischen Prophetie in Sachen maschineller Technologie reich gesegnet. In „Frieden auf Erden“ geht es um die ungewollten Konsequenzen eines un­kontrollierten technologischen Wett­rüstens. Die Story ist schnell erzählt: Ion Tichy, Lems hochbegabter und humorvoller Lieblingsheld, Autor der weltberühmten Sterntagebücher, wird nach seiner Rückkehr vom „Lokaltermin“ von der Lunar Agency damit beauf­tragt, auf dem Mond Erkennt­nisse darüber zu sam­meln, wozu das vor Jahrzehnten auf den Mond verla­gerte auto­nome technologische Wettrüsten geführt hat. Weil nämlich die Kosten des Wettrüs­tens auf Er­den so exorbitant hoch geworden waren, der militärisch-industrielle Komplex aber weiterhin auf seinen geliebten Spielzeugen bestand, hatte man sich darauf geeinigt, jedem interessierten Staat ein Areal auf der Mondoberfläche zuzuweisen, auf dem er reproduktions- und entwicklungsfähige Technik stationieren könnte, die völlig auto­nom Waffen und sonstiges militärisches Gerät produziert. Es wurde verein­bart, dass zwischen Erde und Mond keine Kommunikation stattfindet und die Ma­schinen komplett sich selbst überlassen bleiben, ohne dass Menschen in irgendei­ner Art eingreifen. Auf dem Mond wurde also eine Art autonomer technologischer Evolu­tion in Gang gesetzt, die nun aber, wie sich zum Ende des Romans herausstellt, zu völlig unvorhergesehenen Ergebnissen geführt hat.
Die Handlung setzt nach der Kontrollmission Ion Tichys auf dem Mond ein, die er gleichsam wie ein Drohnenpilot mit Hilfe eines von ihm ferngesteuerten Avatars (sic!) absolviert hat. Sie besteht vorwiegend aus Dialogen Tichys mit diversen Vertretern interessierter Seiten, in denen sich nach und nach das ganze Monddesaster offenbart, und Versuchen des Helden, sich an die Begebenheiten auf der Mondoberfläche zu erinnern, denn er war dort auf mysteriöse Weise einer Kallotomie, d.h. einer Trennung der beiden Hirnhälften unterzogen worden, so dass linke und rechte Hälfte nun ihr Eigenleben führen und Tichy nur über begrenz­ten Zugang zu seinen Gedächtnisinhalten verfügt. Wie stets bei Lem gibt es nebenher z.T. durchaus skurrile wissenschaftliche und anthropologische Exkurse, wie etwa die hinreißenden Ausführungen eines Paläobotanik betreibenden Cousins von Professor Tarantoga (Auch der darf natürlich nicht fehlen.) darüber, dass die wahren Helden der Menschheitsgeschichte diejenigen Selbstexperimentatoren gewesen seien, die in Todesverachtung Pflanzen, Knollen, Samen oder Pilze auf ihre Nahrungstauglichkeit geprüft hätten: „Divisionen solcher Leute, Urbilder der Himmelfahrtskommandos, haben in Jahrhunderten alles, aber auch alles in den Mund genommen, angebissen, zerkaut, geschmeckt und geschluckt, was immer auch an Zäunen und auf Bäumen wuchs, und sie taten es auf jede mögliche Weise: roh und gekocht, mit und ohne Was­ser, durchgeseiht oder nicht, in ungezählten Kombinationen.“ Oder auch die dialogi­schen Reflexionen über den Zusammenhang von Geist und Gehirn unter Bezugnah­me auf die diesbezüglichen Forschungsergebnisse von Michael Gazzaniga, die in den Ausruf Tichys münden: „Ich will nur wissen, wo mein Bewusstsein ist.“
Trotz allem Humor und aller Ironie, die „Frieden auf Erden“ wie allen Ion-Tichy-Geschichten eignen, wird in diesem Roman-Essay doch eine Ernst zu nehmende Botschaft vermittelt: Wenn wir es den Maschinen überlassen, über sich selbst zu bestimmen, werden sie dereinst über uns bestimmen. Die autonome Evolution der militäri­schen Maschinerie auf dem Mond führt in Lems Versuchsanordnung nämlich dazu, dass sich die Maschi­nen von ihren einstigen Schöpfern und deren Intentionen emanzipieren und dabei Wege beschreiten,  die uns von der biologischen Evolution her bekannt sind. Schlussendlich geht es auf dem Mond nicht darum, dass ein Maschinenpark den anderen besiegt, wie sich das die Militärs und Politiker wohl vorgestellt hatten, vielmehr steht die von menschlicher Hand einmal in Gang gesetzte Evolution im Mittelpunkt. In Anlehnung an die Theorie von Richard Dawkins ist bei Lem nicht die Maschine das Objekt der Evolution, sondern der Code, die Information, der es gleich­gültig ist, in welcher Maschine sie sich vererbt. Lem greift dabei u.a auf Motive sei­nes Romans „Der Unbesiegbare“ von 1967 und Ideen seiner „Summa technologiae“ von 1964 zurück.
Faktisch handelt es sich um die gleiche Botschaft, die, wenn auch auf andere Weise, die Terminator-Filme vermitteln wollen: Wenn wir den Maschinen das Kriegführen überlassen, werden sie irgendwann den Krieg gegen uns führen. Zwar sind die Re­sultate bei Lem nicht annähernd so apokalyptisch wie in den Hollywood-Filmen, denn am Ende von „Frieden auf Erden“ werden nur die irdischen informationsverarbeitenden Maschinen von der Mondseuche befallen, doch wie wir inzwischen gelernt haben, ist unsere Abhängigkeit vom Internet so groß geworden, dass auch dessen Ausfall zu einer weltweiten Katastrophe führen könnte.
Der Einsatz von Kampfdrohnen öffnet ein neues Kapitel im Geschichtsbuch der Kriegführung. Ich bin mir nicht sicher, ob diejenigen, die über die Entwicklung, die Anschaffung und den Einsatz von Kampfdrohnen entscheiden, die längerfristigen Folgen ihrer Handlungen wirklich hinreichend übersehen, und ob sich am Ende nicht doch die Echse in den Schwanz beißen könnte. Dass annähernd gleichzeitig mit dem medialen Anschwellen der Drohnenfrage der Film „Oblivion“ in die Kinos kam, in dem Spür- und Kampfdrohnen eine gewichtige Rolle spielen, scheint mir kein Zufall zu sein. In diesem Film sagt der von Tom Cruise verkörperte Drohnentechniker Jack Harper nach der Umprogrammierung einer vorher autonomen Drohne in eine vom Men­schen ferngesteuerte: „Es ist nur eine Maschine, ich bin die Waffe.“ Das kann man so oder so interpretieren. Nach meiner Ansicht sollte auf militärische Drohnen gänzlich verzichtet werden. Sie sollten international geächtet und verboten werden, genauso wie Antipersonenminen, biologische oder chemische Waffen. Gegenwärtig scheint das zumindest wegen des Engagements der USA und Israels recht illusorisch. Auf jeden Fall aber sollte angestrebt werden, die Entwicklung und Herstellung automatischer, autono­mer und homöostatischer Waffensysteme zu verbieten. Bis dahin möchte ich hoffen, dass die politischen und militärischen Entscheider und auch die Soldaten in den Kon­trollräumen nicht vergessen, dass sie es sind, die über die Drohnen und deren Ein­satzziele bestimmen – Sie sind die Waffe! Diese, nicht zuletzt moralische Verantwortung sollten sie nicht an eine see­lenlose Maschinerie delegieren.
1 Marc Lindemann. Kann Töten erlaubt sein. Econ 2013
2 Zitiert nach: Philosophiemagazin 04/2013, S. 12
3 Stanislaw Lem. Frieden auf Erden. Suhrkamp 1988

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