Die folgenden Zitate stammen aus einem Text [1] des sowjetischen
Philosophen Iwan T. Frolov aus dem Jahr 1978.
Der Text nimmt Bezug auf Debatten, die seinerzeit in der Sowjetischen Akademie
der Wissenschaften und in diversen Publikationen geführt wurden. Ich enthalte
mich jeglicher Kommentare und überlasse es dem Leser sich eine Meinung zu bilden.
Der mit
dem historischen Optimismus verbundene Glaube an die grenzenlosen Möglichkeiten
des menschlichen Geistes und die Überzeugung, daß der moderne Mensch nicht nur Homo
sapiens, sondern auch Homo humanus ist, sind Grund zur Annahme, daß
die Zukunft des Menschen herrlich sein wird. Doch diese Zukunft kommt nicht von
allein, sie wird vom Menschen selbst geschaffen, der riesige materielle Kräfte und
das gewaltige geistige Potential der Wissenschaft in Bewegung setzt. Auf
welchen Wegen sich die materiellen und wissenschaftlichen Möglichkeiten der
menschlichen Entwicklung realisieren werden, hängt in hohem Grade von der
richtigen Wahl einer allgemeinen Strategie der Erkenntnis, ihrer Methodologie
und weltanschaulichen Grundlage ab. (S. 56)
Wie
vollzog sich die Evolution des Menschen? An welche Faktoren mußte sich das
biologische Substrat in der Vergangenheit anpassen, und woran paßt es sich
heute an? G. I. Caregorodcev meint, daß sich der menschliche Organismus, der
früher an Nahrungsmangel gewöhnt war, heute an übermäßige Ernährung gewöhnen
müsse. Während der Mensch in der Vergangenheit aufreibende körperliche Arbeit
leisten mußte, sei heute bei vielen Menschen ein Mangel an körperlicher
Aktivität zu beobachten. Das alles erfordere allseitige und sorgfältige
Untersuchung, methodologisch und auch konkret sozialbiologisch. (S. 65)
Einige
Beispiele sollen das illustrieren. In den letzten 500 Jahren wurden unter
Beteiligung des Menschen bis zu zwei Drittel des Waldbestandes der Erde
vernichtet. Die gewaltigste Veränderung erfuhr die Biosphäre jedoch seit dem
Ende des 19. Jahrhunderts, besonders in unserem Jahrhundert mit der Entwicklung
der industriellen Produktion. Sie brachte der Menschheit einerseits Wohlstand:
In 7 bis 10 Jahren verdoppelte sich die Erzeugung von Elektroenergie; in 35
Jahren erfolgte eine Verdoppelung der industriellen und der
landwirtschaftlichen Produktion. Andererseits verursachte sie auch negative
Erscheinungen: Die gesellschaftliche Produktion nutzt, wenn sie der Natur 100
Einheiten entnimmt, nur 3 bis 4 Einheiten; 96 Einheiten werden in Form von
Giftstoffen und Abfällen an die Natur abgegeben (5 • 108 t). Die
Menge reinen Wassers hat sich verringert; ein Drittel der Düngemittel wird aus
dem Boden herausgespült und gelangt in die Gewässer; den größten ökologischen
Schaden verursachen die Abfälle von toxischen organischen Verbindungen, die zur
Bekämpfung von Schädlingen der Landwirtschaft verwendet werden (DDT – 1,5 Mio t
in 25 Jahren — es wurde sogar in der Leber von Pinguinen entdeckt).
Im Ergebnis
verringerten sich die Möglichkeiten zur Selbstreinigung der Biosphäre, sie kann
schon nicht mehr die Fremdstoffe, die der Mensch in sie abgegeben hat, in die
Kreisläufe einbeziehen (ansteigender Kohlendioxidgehalt in der Atmosphäre, der
Staubgehalt hat im Vergleich zum Beginn des 20. Jahrhunderts weltweit in vielen
Städten um 20% zugenommen). Es entstand die Gefahr der Zerstörung der
Sauerstoffbalance; die Ozonschicht, die die Biosphäre vor ultravioletter
Strahlung schützt, ist durch Flüge von Überschallflugzeugen gefährdet (würden
50 % zerstört, so erhöhte sich die Einwirkung der Strahlung um das Zehnfache,
das würde sich auf das Sehvermögen von Mensch und Tier auswirken). Die
Wärmebelastung und die Verschmutzung der Ozeane haben sich erhöht und tendieren
zu globaler Ausbreitung (4 • 106 t Erdöl gehen in den Ozean, das
heißt etwa 0,1 % der Förderung auf den Schelfen der Meere). (S. 79)
Für die
letztgenannten Beziehungen sind die Arbeiten B. Commoners von Interesse, der
die entsprechenden Angaben für die USA in den 26 Jahren nach dem zweiten
Weltkrieg untersucht hat. Er stellte fest, daß die gewaltige Zunahme der Umweltverschmutzung
(etwa um das Sieben- bis Achtfache pro Kopf der Bevölkerung) nicht durch die
Zunahme des Produktionsvolumens (die nur etwa 50 % betrug) oder durch den
gestiegenen Pro -Kopf -Verbrauch (etwa 6 %) verursacht wurde. Sie wurde
hervorgerufen durch Veränderungen in der Produktion und im Konsum (breite
Anwendung chemischer Düngemittel, synthetischer Gewebe, Detergenzien, größerer Kraftfahrzeuge
usw.), die vor allem im Interesse der Monopole zur Erhöhung des Profits
durchgeführt wurden. Diese Erscheinungen lenken die Aufmerksamkeit der Forscher
auf das Grundlegende, auf die sozialökonomischen Faktoren des ökologischen
Problems. (S. 86)
Als
weitaus gefährlicher wird das Problem der Vereinbarkeit von natürlicher und
sozialer Wirklichkeit eingeschätzt, das sich lokal und global vor allem als
Störung des ökologischen Gleichgewichts und als gefährliche Umweltverschmutzung
zeigt. Der Widerspruch zwischen Sozialem und Natürlichem ist einer der
zugespitztesten Widersprüche, mit denen die gegenwärtige Menschheit
konfrontiert ist. Das Problem besteht darin, so sagte Kapica, daß die
technischen Prozesse auf dem gegenwärtigen Niveau der Zivilisation unvermeidbar
Störungen in den bisherigen ökologischen Prozessen verursachen und jetzt andere
Arten des biologischen Gleichgewichts in der Natur erforderlich sind.
Die Möglichkeit der Selbstregulierung und der spontanen
Aufhebung des Widerspruchs wurde im Ergebnis der Erörterung als irreal und
wenig wahrscheinlich angesehen. Mehr noch, eine solche Selbstregulierung würde
höchstwahrscheinlich dramatisch über den Menschen hereinbrechen. So kommt N.F.
Rejmers, wenn er die Entwicklungstendenzen der Biosphäre und der Menschheit
miteinander vergleicht, zu dem Schluß, daß die Selbstregulierung in der
Ökosphäre mit ihren Untersystemen — Biosphäre und Menschheit — kein Symbol der
Hoffnung sein könne. Sie sei unerreichbar, weil sich Tempo und Art der
Entwicklung von Biosphäre und Menschheit grundlegend voneinander unterscheiden:
Die Erweiterung der Ressourcen in dem sich selbstregulierenden Untersystem
Biosphäre ist theoretisch unmöglich, wenn sich das andere Untersystem, die Menschheit,
fast gar nicht selbst reguliert und die Trägheit dieses Untersystems sehr groß
ist. Die spontane, nichtregulierte Entwicklung der Menschheit tritt als
hauptsächliche Erscheinungsform der ökologischen Gefahr immer deutlicher
zutage, als ihr Mittelpunkt und Schwerpunkt aller ökologischen Kollisionen.
Mit diesem Typ der gesellschaftlichen Entwicklung ist eine bestimmte
Strategie des Verhaltens zur Natur verbunden, ein aggressiv konsumorientierter,
utilitaristischer Druck auf die Natur. Obwohl solch eine Strategie für die
Wechselwirkung zwischen wissenschaftlich -technischer Zivilisation und Natur charakteristisch
ist, ist sie kein „ewiger" immanenter Zug der Zivilisation. Ein weiterer
Angriff der technischen Zivilisation auf die Natur werde noch einschneidender
das Gesicht der Erde verändern, bemerkt O. K. Gusev, und er könne, wenn er sich
spontan vollzieht, der Menschheit unzähliges Unheil bringen. Gusev erkennt, daß
die weitere Aneignung und die Umgestaltung der natürlichen Umwelt absolut
unvermeidlich sind und betont, daß wir unsere ganze Geisteskraft, unseren Willen
und unsere technischen Mittel nutzen müssen, damit wir lernen, diesen Prozeß zu
steuern. Die Interessen des Menschen erfordern eine zunehmende Einflußnahme auf
die Natur. Die Menschheit sei auf dem Wege der wissenschaftlich -technischen
Entwicklung zu weit fortgeschritten, als daß man Wege der Rückkehr suchen
könne. Eine Änderung der Strategie des Verhaltens zur Natur kann nur als
Übergang vom Ansturm auf die Natur zu einer rationell organisierten
Wechselwirkung zwischen Mensch und Natur erfolgen. (S. 97f)
[1] Iwan T. Frolov. Wissenschaftlicher Fortschritt und Zukunft des Menschen. Kritik des Szientismus, Biologismus und ethischen Nihilimus. Zur Kritik der bürgerlichen Ideologie Bd. 89. Berlin, Frankfurt./M. 1978