Donnerstag, 28. Februar 2013

Das Glück dieser Erde...


Das Pferdefleisch, mit dem unsere gute Discountertiefkühlfertignahrung veredelt wurde, stammt also aus Rumänien. Dort wurde vor sechs Jahren der Gebrauch von Pferdekut­schen im öffentlichen Straßenverkehr verboten. Abgesehen davon, dass es mir merkwürdig erscheint, dass die Lebensmittelpanscherei in einem kausalen Zusammenhang mit einer Jahre zurück liegenden Änderung der rumänischen Straßenverordnung stehen sollte, hat mich diese Meldung doch etwas nachdenklich gestimmt. Ich musste unwillkürlich an meine Kindheit denken, in der Pferdegespanne im Straßenverkehr ganz und gar nichts Ungewöhnli­ches waren. Ich bin aufgewachsen am äußersten Stadtrand, in unmittelbarer Nähe von landwirtschaftlichen Genossenschaften (LPG) und Fuhrunternehmen, von denen Pfer­de neben Traktoren und LKW ganz selbstverständlich als Zugmittel genutzt wurden. Das war in den 1960/70er Jahren. Mein Vater mietete im Spätsommer stets ein Gespann, um die Massen an Birnen und Äpfeln zur staatlichen Obst- und Gemüse-Aufkaufstelle zu transportieren. Der Großvater auf dem zwei Kilometer entfernten Dorf, der einen kleinen Kartoffelacker gepachtet hatte, transportierte die Ernte ebenfalls mittels Pferdege­spann vom Feld in den heimischen Keller. 1972 ritt ich während der Kartoffelernte bei Bauer Ullrich erst- und auch bislang einmalig auf einem Kaltblüter. Direkt gegenüber der Schule hatte Stellmacher Lenze Haus und Hof, wo er sowohl LKW-Pritschen als auch Pfer­dewagen baute und reparierte. Bewaffnet mit Eimer und Schaufel, zog manch Kleingärtner durch die Straßen, um wertvolle Pferdeäpfel zu sammeln. Selbst mitten in der Stadt traf man zuweilen auf die von den sprichwörtlichen Brauereipferden gezogenen Bierwagen. Ir­gendwann gegen Ende der 1970er verschwanden die Pferde dann aus dem Straßenbild. Of­fenbar wurden sie als Arbeitstiere nicht mehr gebraucht. Von den Routen der Brauereige­spanne quer durch die Stadt künden nur noch ein paar Straßennamen, die auf „Bierweg“ enden.
In den 1990er Jahren tauchten die Pferde wieder auf - nun als Reittiere für junge, meist blonde Mädchen. Die LPG war geschlossen worden, und das Gelände, auf dem vormals Ställe und Silos standen, wird seit dem als Reiterhof genutzt. Pferde, leibhaftige Pferde be­gegnen mir nur noch beim Joggen oder Mountainbiken durch die Stadtrandpampa. Daran ändern auch weder Zirkus- oder Volksfestponys noch Hochzeitskutschpferde etwas und auch nicht die Rennpferde, die von ihren Eignern und den kleinwüchsigen Jockeys an manchen Wochenenden über die hiesige Galopprennbahn getrieben werden. Im Gegenteil, dies bestätigt lediglich meinen Eindruck: Das Pferd, wie es einst war, gibt es nicht mehr.
Das Pferd wurde, zumindest in hiesigen Breiten, zum Sportgerät gemacht und wird, wie man weiß, auch genauso behandelt, will heißen verbessert, optimiert und gelegentlich mit unerlaubten physischen oder chemischen Mitteln zurecht gebogen. Es unterscheidet sich damit wenig von anderen Fortbewegungsmitteln wie Fahrrädern, Automobilen und ja auch von uns selbst, auch wenn die drei letztgenannten daneben noch andere Arbeiten zu ver­richten haben. In EU-Europa hat man sich nun des Pferdes als billigem Fleischlieferanten bedient. Es wäre ein Leichtes, dies als Ergebnis rein mafiöser Unternehmungen abzutun, wenn sich nicht im Umgang mit Fleisch, im Umgang mit Tieren und damit im Umgang mit uns selbst - zum wievielten Male eigentlich? - unsere ganze physische und ethische Degradation zeigen würde. Das einst verehrte Ross – der Bu­kephalos des Alexander, die Rosinante des Don Quijote, der Marengo des Napoleon und nicht zuletzt das geflügelte Dichterpferd Pegasus, sie sind schließlich ebenso Teil unserer Kulturgeschichte wie ihre Reiter, und ihnen gebührt Respekt.
Das industrielle Zeitalter mit seiner Mechanisierung und Elektrifizierung aller Lebensbe­reiche und mehr noch die postindustrielle Beliebigkeit, die sich u.a. darin ausdrückt, dass wir nicht nur nicht mehr wissen, was wie woher kommt, gleich ob T-Shirt, Smartphone oder Köttbullar, sondern uns dies recht eigentlich auch völlig gleichgültig ist, denn wir ha­ben verinnerlicht, dass es denen, die uns ihre Waren anbieten, mindestens genauso gleichgül­tig ist, sie haben zu solcher Abstumpfung geführt, ja bedingen diese Abstumpfung gerade­zu, weil wir, und das eben ist das Postindustrielle, nur noch als kritiklose Konsumenten von irgendeiner Bedeutung sind, während unsere Bedeutung als Produzenten der zu kon­sumierenden Produkte gegen Null geht, nicht anders als der Wert von Pferd und Rind und Schwein und Huhn.
Nun wird man fragen mögen, was dieses Lamento soll. Vielleicht ist es schlicht die nostal­gische Erinnerung an eine Zeit, in der Werte irgendwie werthaltiger waren und die Men­schen und die Tiere und die Dinge bedeutend – ganz unabhängig von ihrer unmittelbaren Verwertbarkeit. Ich habe Tiere nie wirklich gemocht, dennoch bedaure ich sie.

Mittwoch, 27. Februar 2013

Nur Politzirkus?


Von seiner wahlkämpferischen Kommandohöhe hat Generalbundeskavallerieinspekteur Stein­brück in unnachahmlicher Manier wieder einmal verbal zugeschlagen. Auf einer Wahlkampfver­anstaltung betitelte er die beiden italienischen Politdarsteller Beppe Grillo und Silvio Ber­lusconi als Clowns. Daraufhin sagte Italiens Staatspräsident Napolitano, selbst Sozialde­mokrat und ehedem gar Kommunist, ein geplantes Treffen mit Steinbrück kurzerhand ab. Im heutigen Deutschlandfunkkommentar meinte der von mir sehr geschätzte Rainer Burchardt, bis 2006 Chefredakteur dieses Senders, dass, obwohl Steinbrücks Einlassung si­cher keine politische Glanzleistung gewesen sei, Napolitano so nicht hätte reagieren müs­sen. Die deutsch-italienische atmosphärische Störung hätte wohl auch bei dem geplanten Essen ausgeräumt werden können. Und überhaupt wären ja wohl politischer Klartext und gelegentliches Schienbeintreten á la Stein­brück um Einiges besser als die permanenten Verwandlungs­kunststücke unserer Kanzle­rin.
Ich weiß nicht, ob es nur mir so geht, aber mir ist irgendwie unwohl bei dem Gedanken, diesen Vorfall einfach auf sich beruhen zu lassen und mit ein paar freundlichen Worten der Art „nicht so gemeint“ abzutun. Mir kam nämlich spontan Folgendes in den Sinn: 2003 anempfahl Silvio Berlusconi dem sozialdemokratischen Europa-Abgeordneten Martin Schulz, inzwischen ja Präsident des EU-Parlaments, im Rahmen einer scharf geführten Debatte in selbigem EU-Parlament, die Rolle des Kapo in einem italienischen KZ-Film zu überneh­men. 1999 bereits erhielt der italienische Regisseur und Schauspieler Roberto Benigni einen Oscar für seinen Film La vita è bella (dt. Das Leben ist schön), in dem er einen Mann spielt, der auf sehr clowneske Art versucht, seinem Sohn das Überleben im KZ (Bergen-Belsen) erträglich zu machen. Für mich fügt sich hier etwas zusammen.
Klare Kante hin oder her, aber auch 68 Jahre nach Ende des Krieges gibt es Be- und Empfindlichkeiten, die man nicht unbedingt herausfordern muss. Kann schon sein, dass ich völlig daneben liege mit meinen Assoziationen und Giorgio Napolitano an so etwas überhaupt keinen Gedanken verschwendet hat. Das ändert aber nichts an der generellen Tatsachenfeststellung, dass unsere Politikerkaste, gleich welcher Farbschattierung, sich mittlerweile, und das wiederum scheint mir eher ein Nach-Schröder/Fischer- und somit ein Generationen-Phänomen zu sein, durch einen hohen Grad an Geschichtsvergessenheit, kultureller Ignoranz und Empathielosigkeit auszeichnet, womit sie i.Ü. bestens zur Mehrheit der Bürger passt, die sie repräsentieren soll.

Die kommende Gemeinschaft. Teil 4

Kommunitarismus: Die Ethik der Gemeinschaft Allein sein bedeutet, Mitglied einer großen Gemeinschaft zu sein, die gerade deshalb eine ist, ...