Das
Pferdefleisch, mit dem unsere gute Discountertiefkühlfertignahrung
veredelt wurde, stammt also aus Rumänien. Dort wurde vor sechs
Jahren der Gebrauch von Pferdekutschen im öffentlichen
Straßenverkehr verboten. Abgesehen davon, dass es mir merkwürdig
erscheint, dass die Lebensmittelpanscherei in einem kausalen
Zusammenhang mit einer Jahre zurück liegenden Änderung der
rumänischen Straßenverordnung stehen sollte, hat mich diese Meldung
doch etwas nachdenklich gestimmt. Ich musste unwillkürlich an meine
Kindheit denken, in der Pferdegespanne im Straßenverkehr ganz und
gar nichts Ungewöhnliches waren. Ich bin aufgewachsen am
äußersten Stadtrand, in unmittelbarer Nähe von
landwirtschaftlichen Genossenschaften (LPG) und Fuhrunternehmen, von
denen Pferde neben Traktoren und LKW ganz selbstverständlich
als Zugmittel genutzt wurden. Das war in den 1960/70er Jahren. Mein
Vater mietete im Spätsommer stets ein Gespann, um die Massen an
Birnen und Äpfeln zur staatlichen Obst- und Gemüse-Aufkaufstelle zu
transportieren. Der Großvater auf dem zwei Kilometer entfernten
Dorf, der einen kleinen Kartoffelacker gepachtet hatte,
transportierte die Ernte ebenfalls mittels Pferdegespann vom
Feld in den heimischen Keller. 1972 ritt ich während der
Kartoffelernte bei Bauer Ullrich erst- und auch bislang einmalig auf
einem Kaltblüter. Direkt gegenüber der Schule hatte Stellmacher
Lenze Haus und Hof, wo er sowohl LKW-Pritschen als auch Pferdewagen
baute und reparierte. Bewaffnet mit Eimer und Schaufel, zog manch
Kleingärtner durch die Straßen, um wertvolle Pferdeäpfel zu
sammeln. Selbst mitten in der Stadt traf man zuweilen auf die von den
sprichwörtlichen Brauereipferden gezogenen Bierwagen. Irgendwann
gegen Ende der 1970er verschwanden die Pferde dann aus dem
Straßenbild. Offenbar wurden sie als Arbeitstiere nicht mehr
gebraucht. Von den Routen der Brauereigespanne quer durch die
Stadt künden nur noch ein paar Straßennamen, die auf „Bierweg“
enden.
In
den 1990er Jahren tauchten die Pferde wieder auf - nun als Reittiere
für junge, meist blonde Mädchen. Die LPG war geschlossen worden,
und das Gelände, auf dem vormals Ställe und Silos standen, wird
seit dem als Reiterhof genutzt. Pferde, leibhaftige Pferde begegnen
mir nur noch beim Joggen oder Mountainbiken durch die Stadtrandpampa.
Daran ändern auch weder Zirkus- oder Volksfestponys noch
Hochzeitskutschpferde etwas und auch nicht die Rennpferde, die von
ihren Eignern und den kleinwüchsigen Jockeys an manchen Wochenenden
über die hiesige Galopprennbahn getrieben werden. Im Gegenteil, dies
bestätigt lediglich meinen Eindruck: Das Pferd, wie es einst war,
gibt es nicht mehr.
Das
Pferd wurde, zumindest in hiesigen Breiten, zum Sportgerät gemacht
und wird, wie man weiß, auch genauso behandelt, will heißen
verbessert, optimiert und gelegentlich mit unerlaubten physischen
oder chemischen Mitteln zurecht gebogen. Es unterscheidet sich damit
wenig von anderen Fortbewegungsmitteln wie Fahrrädern, Automobilen
und ja auch von uns selbst, auch wenn die drei letztgenannten daneben
noch andere Arbeiten zu verrichten haben. In EU-Europa hat man
sich nun des Pferdes als billigem Fleischlieferanten bedient. Es wäre
ein Leichtes, dies als Ergebnis rein mafiöser Unternehmungen
abzutun, wenn sich nicht im Umgang mit Fleisch, im Umgang mit Tieren
und damit im Umgang mit uns selbst - zum wievielten Male eigentlich?
- unsere ganze physische und ethische Degradation zeigen würde. Das
einst verehrte Ross – der Bukephalos des Alexander, die
Rosinante des Don Quijote, der Marengo des Napoleon und nicht zuletzt
das geflügelte Dichterpferd Pegasus, sie sind schließlich ebenso
Teil unserer Kulturgeschichte wie ihre Reiter, und ihnen gebührt
Respekt.
Das
industrielle Zeitalter mit seiner Mechanisierung und Elektrifizierung
aller Lebensbereiche und mehr noch die postindustrielle
Beliebigkeit, die sich u.a. darin ausdrückt, dass wir nicht nur
nicht mehr wissen, was wie woher kommt, gleich ob T-Shirt, Smartphone
oder Köttbullar, sondern uns dies recht eigentlich auch völlig
gleichgültig ist, denn wir haben verinnerlicht, dass es denen,
die uns ihre Waren anbieten, mindestens genauso gleichgültig
ist, sie haben zu solcher Abstumpfung geführt, ja bedingen diese
Abstumpfung geradezu, weil wir, und das eben ist das
Postindustrielle, nur noch als kritiklose Konsumenten von irgendeiner
Bedeutung sind, während unsere Bedeutung als Produzenten der zu
konsumierenden Produkte gegen Null geht, nicht anders als der
Wert von Pferd und Rind und Schwein und Huhn.
Nun
wird man fragen mögen, was dieses Lamento soll. Vielleicht ist es
schlicht die nostalgische Erinnerung an eine Zeit, in der Werte
irgendwie werthaltiger waren und die Menschen und die Tiere und
die Dinge bedeutend – ganz unabhängig von ihrer unmittelbaren
Verwertbarkeit. Ich habe Tiere nie wirklich gemocht, dennoch bedaure ich sie.