Der
wohl berühmteste und meistzitierte Satz des Philosophen Theodor W.
Adorno: „Es gibt kein richtiges Leben im Falschen.“, findet sich
am Ende von Reflexion Nr. 18 seiner „Minima Moralia“1
Unter der Überschrift „Asyl für Obdachlose“ geht es in Nr. 18
schlicht ums Wohnen. Adorno zufolge kann man nämlich überhaupt
nicht mehr wohnen. Geschrieben wurde diese Reflexion, das darf nicht
vergessen werden, im Jahre 1944. In dem Text, der, oberflächlich
gelesen, die sozialen und materiellen Aspekte des Wohnens
thematisiert, geht es dem Autor gleichwohl mehr um die tendenzielle
Unbehaustheit des Intellektuellen in der Moderne, eine Erfahrung, die
er besonders, wenn auch nicht nur, als Exilant jüdischer Abstammung
mit vielen von Seinesgleichen teilte und die viele Jahre später u.a.
vom Soziologen Zygmunt Baumann2
und zuletzt wohl auch von Giorgio Agamben3
mit seiner universellen Lagermetaphorik aufgenommen und analysiert
wurde.
Zur
Disposition steht bei Adorno allerdings auch das private Wohneigentum
in dem Sinne, dass der Eigentümer als personifizierte Rechtsform
sich wohl oder übel mit der herrschenden Wirtschaftsordnung und
deren Verwertungsprozessen gemein machen muss. Im Kapitalismus wohnen
heißt, entweder Mietzins oder Pacht oder Steuern zu zahlen. Demnach
gibt es eigentlich kein freies Wohnen; alles ist falsch.
Subjektiv,
auf sich selbst bezogen, kann man es freilich anders sehen. Für
einen Angestellten im privatwirtschaftlich oder staatlich
organisierten Arbeitskraftverwertungsprozess kann das
Wohneigentum schon ein stückweit Befreiung von den Zwängen eben
jener Verwertungsprozesse bedeuten. Dass man statt dessen in andere
Zwänge gerät, wie Zins und Tilgung für Kredite mit Laufzeiten von
z.T. vielen Jahren zahlen zu müssen oder den Bürden des Eigentums
als solchem ausgesetzt ist, wird des Gefühls wegen, etwas
Unabhängigkeit gewonnen zu haben, gern in Kauf genommen.
Als
ich vor einigen Jahren eine kleine Wohnung in (für mich) reizvoller
Lage kaufte, fühlte ich jedenfalls genau so. Glücklicherweise war
ich, dank positivem Investment, Erbschaft und
preußisch-protestantischer Sparsamkeit in der Lage, für den
Wohnungserwerb nur auf einen kleinen Minimalkredit der örtlichen
Sparkasse zurück greifen zu müssen, der recht zügig getilgt ward.
Damit blieb mir die Abhängigkeit vom Finanzverwertungsprozess
weitgehend erspart. Die Wohnung liegt im Parterre, eingedenk der
Option, dass ich mich dereinst im Rollstuhl hinein und hinaus bewegen
können muss. Sie hat genug Raum für einen und zu wenig für zwei –
auch das war und ist so gewollt. Mir hat sie Freiheit, Ruhe und Heim
im besten Sinne des Wortes gebracht. Dort bin ich daheim und
nirgendwo sonst.
Die
Freiheit von einem Teil des Verwertungsprozesses wird freilich
erkauft mit einer nachgerade archaischen Ortsgebundenheit. Insofern
kann man die Bindung an diesen Ort auch ein stückweit als privaten
Widerstand gegen die Zumutungen der allzeitigen und allörtlichen
Verfügbarkeit des Flexiblen Menschen ansehen.
Womöglich
hat sich seit der Niederschrift von Adornos Text die Form des
Widerstandes schlicht gewandelt: Nicht die Unbehaustheit zeichnet nun
den Widerständigen aus, sondern sein Beharren auf der Scholle, auf
dem Ortsbezug seiner Existenz. Dann aber hätte Martin Heidegger, der
Antisemit, mit seiner Apologie des Seins als Geworfensein
Recht behalten.
1Theodor
W. Adorno. Minima Moralia. Reflexionen aus dem beschädigten Leben.
Suhrkamp 1951/2001
2Zygmunt
Baumann. Moderne und Ambivalenz. Das Ende der Eindeutigkeit. Fischer
1995
3Giorgio
Agamben. Homo sacer. Die souveräne Macht und das nackte Leben.
Suhrkamp 2002