oder:
Warum es PEGIDA nur in Dresden geben kann.
Seit
geraumer Zeit bin ich aus beruflichen Gründen an drei Tagen die
Woche in Dresden. Zuletzt war das 2005-2008 der Fall, in der Zeit
dazwischen eher sporadisch.
Eigentlich
bin ich stets gern nach Dresden gereist, auch privat zum
Marathonlaufen bspw., sei es zum Dresdener Marathon selbst oder zu
dem auf wunderschöner Strecke entlang der Elbe führenden
Oberelbemarathon von Königstein über Pirna ins
Heinz-Steyer-Stadion. Nun, in diesem Jahr ist das anders. Als der
Auftrag aus Dresden kam, hätte ich am liebsten abgelehnt, was aus
verschiedensten Gründen aber nicht in Frage kam. Vielleicht lag es
ja an diesem Widerwillen, schon nach ein paar Tagen begann Dresden
anders auf mich zu wirken als noch in den Jahren zuvor, fremd und irgendwie
unbehaglich, und es sollte weitere Wochen dauern bis mir aufzugehen
begann, was konkret mein Unbehagen erzeugt. Davon soll hier die Rede
sein.
Die
sächsische Kapitale gilt gemeinhin und wohl auch zu Recht als schöne
und ihren Einwohnern als lebenswerte Stadt. Zum einen ist da das
Ensemble der Barockbauten in der Altstadt samt Zwinger und wieder
aufgebauter Frauenkirche, zum andern das reizvolle Elbtal mit seinen
Weinhängen, das bis zum Bau der Waldschlößchenbrücke zum
UNESCO-Weltkulturerbe zählte. Die Neustadt beherbergt eine
überschaubare, aber feine Alternativkultur. Und die Dresdner sind in
der Mehrzahl ausgesprochen nette und freundliche Menschen.
Zwar
bin ich kein Freund des touristischen Sightseeings – im Urlaub und
in der sonstigen Freizeit treibt es mich eher in Gottes freie Natur,
in die Berge, an die See oder zumindest in den Garten, keinesfalls
aber in die Stadt. Trotzdem oder gerade weil ich mich im Freien
besonders wohl fühle, schaue ich mir die Städte, in denen ich
gezwungenermaßen zum Zwecke des Broterwerbs unterwegs bin, gut an
und wechsle gern die Hotels, um verschiedene Stadtteile und Milieus
kennen zu lernen. So auch aktuell in Dresden: Mal Altstadt, mal
Neustadt, mal Cotta, mal Pieschen, mal Loschwitz usf. So habe ich es
in Nürnberg gehalten und in Bremen, in Bonn und in Essen und
natürlich auch in Berlin.
Was
mir nun an Dresden auffällt, ist, dass es keinen Unterschied macht,
in welcher Ecke der Stadt man sich herumtreibt – sie wirkt überall
gleich. Dass die Altstadt so einen überaus geleckten Eindruck macht,
mag dem Tourismus geschuldet sein, doch dieses in meinen Augen betont
Saubere, betont Ordentliche, nachgerade Adrette zieht sich durch alle
Stadtteile, ausgenommen vielleicht ein paar Straßenzüge der
Neustadt. Und genau so betont ordentlich, betont adrett, um nicht zu
sagen bieder wirkt der Dresdner selbst. Es scheint zudem, als gäbe
es in Dresden kein ausgeprägtes soziales Gefälle, wie es den
Besucher der anderen genannten Städte wie auch meiner (ostdeutschen)
Heimatstadt bereits auf und vor dem Bahnhof gleichsam anspringt. Und
was es scheinbar erst recht nicht gibt, sind Migranten und
Asylbewerber. Trifft man einmal auf das ethnisch Andere, so handelt
es sich in den meisten Fällen um Touristen oder um Assimilierte
gleich welcher Hautfarbe (überwiegend Asiaten oder
Schwarzafrikaner), die zudem im Regelfall fließend sächsisch
sprechen. Die Türkei und der Nahe Osten stehen einem ausschließlich
am Dönerstand gegenüber. Für jemanden, der wie ich als
Mitarbeiter bundesweit operierender Unternehmen die Republik kreuz
und quer bereist und zwischen Flensburg und Kempten kaum eine größere
Stadt ausgelassen hat, erscheint das Dresdener Stadtbild auf eine
absonderliche, irgendwie erschreckende Weise gleichförmig –
lebensweltlich uniform und ethnisch homogen. Anders ausgedrückt: Als
urbanes Gebilde ist Dresden so uninteressant, provinziell und
langweilig wie eine durchschnittliche deutsche Kleinstadt. Es ist
dies eine Uniformität, die man gern auch gutbürgerlich
nennen könnte. Sie speist sich offenbar aus der Geschichte und dem
Selbstverständnis Dresdens als Residenz und bedeutendem
Kulturstandort. Hier gab es weder Bergbau noch Großindustrie und
demzufolge kein nennenswertes Industrieproletariat. Stattdessen wurde
und wird die Wirtschaft der Stadt von Forschung und Ingenieurwesen
dominiert. Dies hat wohl zu einem besonders ausgeprägten
kleinbürgerlichen Habitus geführt, dem ich in dieser
Ausprägung sonst nirgendwo in Deutschland begegnet bin.
Laut
aktueller Bevölkerungsstatistik
leben derzeit unter den über 540.000 Einwohnern der sächsischen
Landeshauptstadt etwa 34.000 Ausländer (6,2 %) und 20.000 Deutsche
mit Migrationshintergrund (3,7 %). Leider differenziert die Statistik
nicht zwischen den verschiedenen Nationalitäten bzw.
Herkunftsregionen der Ausländer, man kann aber wohl davon ausgehen,
dass sich die Herkunftsverteilung nicht wesentlich von der anderer
ostdeutscher Großstädte (ausgenommen natürlich Berlin)
unterscheidet. Extrapoliert man die bekannten Zahlen, stellen Russen,
Ukrainer und Bürger der anderen Nachfolgestaaten der UdSSR die
größte Ausländergruppe mit etwa 16 %, gefolgt von Bürgern der
Nachfolgestaaten Jugoslawiens mit etwa 7 %, EU-Bürger aus Polen,
Tschechien, der Slowakei, Ungarn, Bulgarien oder Rumänien haben
zusammen einen Anteil von ebenfalls etwa 7 %, wohingegen Türken im
Osten gerade einmal 3 % der Ausländer stellen. Ebenso wenig
signifikant ist die Gruppe der Ostasiaten (vornehmlich Vietnam und
China). Die Zahl der Ausländer steigt zwar seit Jahren
kontinuierlich an - von 2000 bis 2015 betrug der Zuwachs 4-10 %
jährlich, doch ist dies überwiegend der EU-Osterweiterung
geschuldet, wohingegen sich die Zahlen für Russen, Ukrainer oder
Türken kaum verändert haben. Im Zuge der vor einem Jahr
einsetzenden Massenimmigration erhöhte sich vor allem die Zahl der
Syrer und derer, die in der Rubrik Sonstige geführt werden, also
u.a. Iraker, Afghanen, Eritreer, Nord- und Schwarzafrikaner. Für
Dresden müsste diese Zahl inzwischen bei geschätzt 4.000 bis 6.000
liegen, also bei 12 bis 18 % aller Ausländer und 0,7 bis 1,1 % der
Gesamtbevölkerung. Vor 2015 muss der Anteil von Moslems in der Stadt
Dresden unterhalb der allgemeinen Wahrnehmungsschwelle gelegen haben,
und auch jetzt sind sie im Stadtbild nicht sichtbar. Wenn sie denn
überhaupt noch da sein sollten, muss man sie wohl in der äußersten
Peripherie untergebracht haben.
Solche
Beobachtungen und Überlegungen führen zu der Vermutung, dass PEGIDA
gerade deshalb in Dresden und nur dort entstehen konnte, weil es den
Initiatoren wie den Anhängern und erst recht den Mitläufern, jenen
so genannten besorgten Bürgern, gar nicht um die von der Politik und
den Mainstreammedien viel und gern in Stellung gebrachten materiellen
Sorgen oder sozialen Abstiegsängste geht. Nein, dem gewöhnlichen
Montagsspaziergänger geht es vielmehr darum, seine geliebtes
Dresden, sein geliebtes Sachsen so sauber, so adrett und so bieder zu
halten, wie es jetzt ist, und das Stadtbild möglichst frei von allem
Fremden. Mit Globalisierung hat das nach meiner Meinung fast nichts
zu tun, mit einer gewissen Art sächsischer Volks- und
Landschaftshygiene gleichwohl sehr viel (Dresden ist Sitz des
Deutschen Hygienemuseums). All jene, die da womöglich kommen
könnten, und die, nach meiner Wahrnehmung jedenfalls, auch ein Jahr
nach Beginn des Durchwinkens an der deutschen Grenze nicht wirklich
in Massen nach Dresden gekommen sind, könnten ja die schöne Heimat
be- und verschmutzen mit ihrem Aussehen, ihrer Sprache, ihrem
Verhalten, ihren Sitten und Gebräuchen oder gar ihren Krankheiten.
Sollten
meine Eindrücke stimmen und meine Meinung sich bestätigen, dann
wäre Dresden auch ohne NPD und Identitäre,
ja selbst ohne AfD, einfach nur qua Wille seiner Bewohner die größte
national befreite Zone Deutschlands. Es brauchte dazu keiner
rassistischen Parolen, keiner offen gewaltbereiten
Fremdenfeindlichkeit wie in den umliegenden Gemeinden Freital, Pirna
oder Heidenau. Die Liebe des Dresdners zu seiner Heimatstadt und
deren adrett-sauberer Biederkeit genügte vollauf.
Überflüssig
daran zu erinnern, dass Sauberkeit und Reinheit Ideale der Nazis
waren, denen es bekanntermaßen um den „gesunden Volkskörper“
und die Ausmerzung all dessen zu tun war, was diesen „Volkskörper“
in welchem Sinn auch immer verunreinigen könnte. Ebenso wenig muss
man erwähnen, dass Sprache nie neutral ist, sondern stets neben den
offensichtlichen auch unterschwellige Bedeutungen transportiert. Man
versteht AfD-Frontmann Höcke (zugegeben kein Dresdner) sicher nicht
falsch, wenn man seine Rede davon, dass Erfurt „schön deutsch“
bleiben solle, in genau dem Sinne der Reinhaltung der Stadt und des
„Volkskörpers“ versteht. Dass der große Viktor
Klemperer seine Untersuchung der Nazisprache unter dem Titel LTI
(Lingua Tertii Imperii) ausgerechnet in Dresden geschrieben hat,
wirkt da schon wie eine Ironie der Geschichte.