Mittwoch, 7. September 2016

Sauberes Elbflorenz

oder: Warum es PEGIDA nur in Dresden geben kann.
Seit geraumer Zeit bin ich aus beruflichen Gründen an drei Tagen die Woche in Dresden. Zuletzt war das 2005-2008 der Fall, in der Zeit dazwischen eher sporadisch.
Eigentlich bin ich stets gern nach Dresden gereist, auch privat zum Marathonlaufen bspw., sei es zum Dresdener Marathon selbst oder zu dem auf wunderschöner Strecke entlang der Elbe führenden Oberelbemarathon von Königstein über Pirna ins Heinz-Steyer-Stadion. Nun, in diesem Jahr ist das anders. Als der Auftrag aus Dresden kam, hätte ich am liebsten abgelehnt, was aus verschiedensten Gründen aber nicht in Frage kam. Vielleicht lag es ja an diesem Widerwillen, schon nach ein paar Tagen begann Dresden anders auf mich zu wirken als noch in den Jahren zuvor, fremd und irgendwie unbehaglich, und es sollte weitere Wochen dauern bis mir aufzugehen begann, was konkret mein Unbehagen erzeugt. Davon soll hier die Rede sein.
Die sächsische Kapitale gilt gemeinhin und wohl auch zu Recht als schöne und ihren Einwohnern als lebenswerte Stadt. Zum einen ist da das Ensemble der Barockbauten in der Altstadt samt Zwinger und wieder aufgebauter Frauenkirche, zum andern das reizvolle Elbtal mit seinen Weinhängen, das bis zum Bau der Waldschlößchenbrücke zum UNESCO-Weltkulturerbe zählte. Die Neustadt beherbergt eine überschaubare, aber feine Alternativkultur. Und die Dresdner sind in der Mehrzahl ausgesprochen nette und freundliche Menschen.
Zwar bin ich kein Freund des touristischen Sightseeings – im Urlaub und in der sonstigen Freizeit treibt es mich eher in Gottes freie Natur, in die Berge, an die See oder zumindest in den Garten, keinesfalls aber in die Stadt. Trotzdem oder gerade weil ich mich im Freien besonders wohl fühle, schaue ich mir die Städte, in denen ich gezwungenermaßen zum Zwecke des Broterwerbs unterwegs bin, gut an und wechsle gern die Hotels, um verschiedene Stadtteile und Milieus kennen zu lernen. So auch aktuell in Dresden: Mal Altstadt, mal Neustadt, mal Cotta, mal Pieschen, mal Loschwitz usf. So habe ich es in Nürnberg gehalten und in Bremen, in Bonn und in Essen und natürlich auch in Berlin.
Was mir nun an Dresden auffällt, ist, dass es keinen Unterschied macht, in welcher Ecke der Stadt man sich herumtreibt – sie wirkt überall gleich. Dass die Altstadt so einen überaus geleckten Eindruck macht, mag dem Tourismus geschuldet sein, doch dieses in meinen Augen betont Saubere, betont Ordentliche, nachgerade Adrette zieht sich durch alle Stadtteile, ausgenommen vielleicht ein paar Straßenzüge der Neustadt. Und genau so betont ordentlich, betont adrett, um nicht zu sagen bieder wirkt der Dresdner selbst. Es scheint zudem, als gäbe es in Dresden kein ausgeprägtes soziales Gefälle, wie es den Besucher der anderen genannten Städte wie auch meiner (ostdeutschen) Heimatstadt bereits auf und vor dem Bahnhof gleichsam anspringt. Und was es scheinbar erst recht nicht gibt, sind Migranten und Asylbewerber. Trifft man einmal auf das ethnisch Andere, so handelt es sich in den meisten Fällen um Touristen oder um Assimilierte gleich welcher Hautfarbe (überwiegend Asiaten oder Schwarzafrikaner), die zudem im Regelfall fließend sächsisch sprechen. Die Türkei und der Nahe Osten stehen einem ausschließlich am Dönerstand gegenüber. Für jemanden, der wie ich als Mitarbeiter bundesweit operierender Unternehmen die Republik kreuz und quer bereist und zwischen Flensburg und Kempten kaum eine größere Stadt ausgelassen hat, erscheint das Dresdener Stadtbild auf eine absonderliche, irgendwie erschreckende Weise gleichförmig – lebensweltlich uniform und ethnisch homogen. Anders ausgedrückt: Als urbanes Gebilde ist Dresden so uninteressant, provinziell und langweilig wie eine durchschnittliche deutsche Kleinstadt. Es ist dies eine Uniformität, die man gern auch gutbürgerlich nennen könnte. Sie speist sich offenbar aus der Geschichte und dem Selbstverständnis Dresdens als Residenz und bedeutendem Kulturstandort. Hier gab es weder Bergbau noch Großindustrie und demzufolge kein nennenswertes Industrieproletariat. Stattdessen wurde und wird die Wirtschaft der Stadt von Forschung und Ingenieurwesen dominiert. Dies hat wohl zu einem besonders ausgeprägten kleinbürgerlichen Habitus geführt, dem ich in dieser Ausprägung sonst nirgendwo in Deutschland begegnet bin.
Laut aktueller Bevölkerungsstatistik leben derzeit unter den über 540.000 Einwohnern der sächsischen Landeshauptstadt etwa 34.000 Ausländer (6,2 %) und 20.000 Deutsche mit Migrationshintergrund (3,7 %). Leider differenziert die Statistik nicht zwischen den verschiedenen Nationalitäten bzw. Herkunftsregionen der Ausländer, man kann aber wohl davon ausgehen, dass sich die Herkunftsverteilung nicht wesentlich von der anderer ostdeutscher Großstädte (ausgenommen natürlich Berlin) unterscheidet. Extrapoliert man die bekannten Zahlen, stellen Russen, Ukrainer und Bürger der anderen Nachfolgestaaten der UdSSR die größte Ausländergruppe mit etwa 16 %, gefolgt von Bürgern der Nachfolgestaaten Jugoslawiens mit etwa 7 %, EU-Bürger aus Polen, Tschechien, der Slowakei, Ungarn, Bulgarien oder Rumänien haben zusammen einen Anteil von ebenfalls etwa 7 %, wohingegen Türken im Osten gerade einmal 3 % der Ausländer stellen. Ebenso wenig signifikant ist die Gruppe der Ostasiaten (vornehmlich Vietnam und China). Die Zahl der Ausländer steigt zwar seit Jahren kontinuierlich an - von 2000 bis 2015 betrug der Zuwachs 4-10 % jährlich, doch ist dies überwiegend der EU-Osterweiterung geschuldet, wohingegen sich die Zahlen für Russen, Ukrainer oder Türken kaum verändert haben. Im Zuge der vor einem Jahr einsetzenden Massenimmigration erhöhte sich vor allem die Zahl der Syrer und derer, die in der Rubrik Sonstige geführt werden, also u.a. Iraker, Afghanen, Eritreer, Nord- und Schwarzafrikaner. Für Dresden müsste diese Zahl inzwischen bei geschätzt 4.000 bis 6.000 liegen, also bei 12 bis 18 % aller Ausländer und 0,7 bis 1,1 % der Gesamtbevölkerung. Vor 2015 muss der Anteil von Moslems in der Stadt Dresden unterhalb der allgemeinen Wahrnehmungsschwelle gelegen haben, und auch jetzt sind sie im Stadtbild nicht sichtbar. Wenn sie denn überhaupt noch da sein sollten, muss man sie wohl in der äußersten Peripherie untergebracht haben.
Solche Beobachtungen und Überlegungen führen zu der Vermutung, dass PEGIDA gerade deshalb in Dresden und nur dort entstehen konnte, weil es den Initiatoren wie den Anhängern und erst recht den Mitläufern, jenen so genannten besorgten Bürgern, gar nicht um die von der Politik und den Mainstreammedien viel und gern in Stellung gebrachten materiellen Sorgen oder sozialen Abstiegsängste geht. Nein, dem gewöhnlichen Montagsspaziergänger geht es vielmehr darum, seine geliebtes Dresden, sein geliebtes Sachsen so sauber, so adrett und so bieder zu halten, wie es jetzt ist, und das Stadtbild möglichst frei von allem Fremden. Mit Globalisierung hat das nach meiner Meinung fast nichts zu tun, mit einer gewissen Art sächsischer Volks- und Landschaftshygiene gleichwohl sehr viel (Dresden ist Sitz des Deutschen Hygienemuseums). All jene, die da womöglich kommen könnten, und die, nach meiner Wahrnehmung jedenfalls, auch ein Jahr nach Beginn des Durchwinkens an der deutschen Grenze nicht wirklich in Massen nach Dresden gekommen sind, könnten ja die schöne Heimat be- und verschmutzen mit ihrem Aussehen, ihrer Sprache, ihrem Verhalten, ihren Sitten und Gebräuchen oder gar ihren Krankheiten.
Sollten meine Eindrücke stimmen und meine Meinung sich bestätigen, dann wäre Dresden auch ohne NPD und Identitäre, ja selbst ohne AfD, einfach nur qua Wille seiner Bewohner die größte national befreite Zone Deutschlands. Es brauchte dazu keiner rassistischen Parolen, keiner offen gewaltbereiten Fremdenfeindlichkeit wie in den umliegenden Gemeinden Freital, Pirna oder Heidenau. Die Liebe des Dresdners zu seiner Heimatstadt und deren adrett-sauberer Biederkeit genügte vollauf.
Überflüssig daran zu erinnern, dass Sauberkeit und Reinheit Ideale der Nazis waren, denen es bekanntermaßen um den „gesunden Volkskörper“ und die Ausmerzung all dessen zu tun war, was diesen „Volkskörper“ in welchem Sinn auch immer verunreinigen könnte. Ebenso wenig muss man erwähnen, dass Sprache nie neutral ist, sondern stets neben den offensichtlichen auch unterschwellige Bedeutungen transportiert. Man versteht AfD-Frontmann Höcke (zugegeben kein Dresdner) sicher nicht falsch, wenn man seine Rede davon, dass Erfurt „schön deutsch“ bleiben solle, in genau dem Sinne der Reinhaltung der Stadt und des „Volkskörpers“ versteht. Dass der große Viktor Klemperer seine Untersuchung der Nazisprache unter dem Titel LTI (Lingua Tertii Imperii) ausgerechnet in Dresden geschrieben hat, wirkt da schon wie eine Ironie der Geschichte. 

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Der Krieg der absoluten Feindschaft kennt keine Hegung. Der folgerichtige Vollzug einer absoluten Feindschaft gibt ihm seinen Sinn und seine...