Der Mensch ist im wesentlichen jenes
Tier, das Rollen übernimmt.
Charles W. Morris
Charles W. Morris
Gemäß
einer verbreiteten Ansicht beschäftigt sich die Philosophie nicht
mit der wirklichen Welt – diese ist Gegenstand der
Fachwissenschaften, sondern mit unserem
Sprechen
über die wirkliche Welt. War die Philosophie im
objektiv-idealistischen System Hegels noch die „Arbeit des
Begriffs“, so muss nach dem linguistic
turn
in der Nachfolge von Wittgensteins Tractatus
wohl konstatiert werden, dass zeitgenössische Philosophie vielmehr
Arbeit am Begriff (engl. concept) ist. Begriffe werden dabei
verstanden als sprachliche Entitäten, die Teil von Propositionen
sind, also von Sätzen, denen ein Wahrheitswert zugewiesen werden
kann. Begriffe haben eine Bedeutung. Einem jüngeren Konzept zufolge
erschließt sich die Bedeutung eines Begriffes aus den Regeln seiner
korrekten Verwendung.1
In der Philosophie der normalen Sprache (engl. ordinary language
philosophy) steht hierfür Wittgensteins paradigmatischer Satz: „Die
Bedeutung eines Wortes ist sein Gebrauch in der Sprache.“
Ich
befasse mich im Folgenden mit der geschlechtergerechten Sprache und
werde meine Ausführungen von dem philosophischen Standpunkt aus
führen, den ich gerade zu skizzieren versucht habe. Unter
geschlechtergerechter Sprache (im Folgenden kurz Gendersprache) wird
dabei ausdrücklich nicht die gleichberechtigte Verwendung von
weiblicher und männlicher Wortform in mündlicher und schriftlicher
Rede verstanden, wie etwa in „Bürgerinnen und Bürger“ oder
„Freundinnen und Freunde“, sondern der generelle Verzicht auf das
generische Maskulinum und dessen Ersatz durch Zeichenkonstrukte wie
großes Binnen-I, Gendersternchen u.ä., sowie die
geschlechtsneutrale Verwendung eines substantivierten Partizips I,
wie etwa bei „Mitarbeitende“. Es geht mir dabei nicht um die
realen Geschlechterverhältnisse, auch nicht um Feminismus oder
Genderstudies; dazu habe ich nichts zu sagen. Mir geht es
ausschließlich um das Sprechen über Personen, denn deren
Anerkennung und politisch korrekter Behandlung in der Sprache soll ja
die Verwendung der Gendersprache dienen.
Mir
scheint, dass der z. T. recht aufgeregt geführte Diskurs über
geschlechtergerechte Sprache vor dem Hintergrund zweier
grundsätzlicher Denkfehler der Gendersprachaktivisten zu sehen ist.
Denkfehler Nr. 1 ist ein Kategorienfehler, bestehend in der
Verwechselung von Rolle und Person. Denkfehler Nr. 2 ist die Annahme,
Sprache bestimme das Denken. Fehler Nr. 2 beruht auf einem
einseitigen, mechanistischen Verständnis dessen, wie das menschliche
Denken funktioniert und in welchem Verhältnis es zur Sprache steht,
Fehler Nr. 1 hingegen darauf, dass der Sprachdiskurs nur allzu häufig
auf einer personalen Ebene geführt wird, wo es doch in Wirklichkeit
um soziale Rollen geht. Beide Fehler sind allerdings typisch für ein
postmodernes Denken, bei dem „Unterschiede zwischen Rolle und
Person verdampfen und semantisch die Kämpfe um Bedeutung und Macht
anheben.“ (Armin Nassehi)
Im
Folgenden werde ich zu begründen versuchen, dass es sich um
wirkliche Fehler handelt.
Zum Verhältnis von Rolle und Person
Wenn
ich von Person
spreche, dann in einem durchaus landläufigen Sinn. Gemeint ist ein
menschliches Individuum, das eine Reihe physischer, psychischer und
sozialer Eigenschaften (Attribute) aufweist, mittels derer es von
anderen Menschen (oder neuerdings auch von Maschinen) unterschieden
und als genau diese konkrete Person identifiziert werden kann. Zu
diesen Attributen gehören die spezifische Körperlichkeit,
individuelle charakterliche Züge, die personale Identität im Sinne
einer erkennbaren, zeitlichen Kontinuität der identifizierenden
Attribute wie bspw. das episodische Gedächtnis oder der Name, aber
auch die Gesamtheit der sozialen Beziehungen, in die das Individuum
eingewoben ist und die zur individuellen Ausprägung der personalen
Attribute beitragen. Eine Person nimmt verschiedene
soziale Rollen
ein, so z. B. einen Beruf, ein Amt (z. B. als Beamter, Richter), eine
Herkunft (z. B. Volksgruppenzugehörigkeit, Ethnie).
Soziale
Rollen sind offensichtlich nichts physisch Existierendes. Sie sind
keine rohen Tatsachen, sondern vielmehr institutionelle
Tatsachen.
Der
US-amerikanische Philosoph John R. Searle hat die Unterscheidung
zwischen rohen und institutionellen Tatsachen eingeführt, um damit
„die Beziehungen zwischen denjenigen Eigenschaften der Welt, die
Sache der rohen Physik und Biologie sind, einerseits, und denjenigen
Eigenschaften der Welt, die Sache der Kultur und Gesellschaft sind“,
zu untersuchen. „Rohe Tatsachen“, schreibt er, “existieren
unabhängig von allen menschlichen Institutionen; institutionelle
Tatsachen können nur innerhalb von menschlichen Institutionen
existieren.“2
Rollen als institutionelle Tatsachen sind Teil unseres Sprechens über
die soziale Realität.
Die
institutionelle Tatsache, dass Donald Trump gerade Präsident der
Vereinigten Staaten von Amerika (POTUS) ist, bedeutet nichts anderes,
als dass die Person
Donald Trump aktuell die Rolle
des Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika einnimmt. Nicht
nur das: Das Amt POTUS ist selbst eine institutionelle Tatsache. Es
wurde von Menschen geschaffen, den amerikanischen Verfassungsvätern,
und existiert nur, weil es in der Verfassung der USA festgeschrieben
ist und die Mehrheit der US-amerikanischen Staatsbürger die
Verfassung anerkennt. Die institutionelle Tatsache POTUS existiert
auch, ohne dass eine konkrete Person dieses Amt besetzt. Es genügt ,
dass die Mehrheit der US-amerikanischen Staatsbürger davon überzeugt
ist, dass das Amt von einer Person und nur von einer Person besetzt
werden sollte.
Es
bedarf keiner weiteren Erklärung zu erkennen, dass rohe und
institutionelle Tatsachen zwei disjunkte Kategorien darstellen.
Werden beim Sprechen diese beiden disjunkten Kategorien verwechselt,
liegt ein Kategorienfehler vor. Der Begriff des Kategorienfehlers
stammt vom britischen Philosophen Gilbert Ryle. Ein Kategorienfehler
wird von einem Sprecher begangen, wenn er einen sprachlichen Ausdruck
auf eine Weise verwendet, die nicht dem logischen Typ des Ausdrucks
entspricht. Der logische Typ eines Ausdrucks ist die Klasse seiner
logisch richtigen Verwendungsweisen. Zwei Ausdrücke A
und B
sind vom gleichen logischen Typ, wenn ein Satz der Form „x
ist ein P“
bei Einsetzung von A
für
x
und B
für x
gleichermaßen wahr ist. Der Kategorienfehler der
Gendersprachaktivisten besteht nun gerade darin zu behaupten, dass im
Fall einer Rollenzuschreibung P
die Wahrheit des Satzes „x
ist ein P“
davon abhängig ist, ob an die Stelle von x
eine männliche oder eine weibliche Person gesetzt wird, das heißt,
nach dieser Ansicht sind die Ausdrücke „weibliche Person“ und
„männliche Person“ nicht vom gleichen logischen Typ. Der Satz
„Frau Müller ist Professor für Philosophie.“ hätte demnach
eine anderen Wahrheitswert als der Satz „Herr Meier ist Professor
für Philosophie.“ Der Satz „Herr Meier ist Professor für
Philosophie.“ ist offensichtlich dann wahr, wenn Herr Meier eine
Professur für Philosophie inne hat. Der Satz „Frau Müller ist
Professor für Philosophie.“ wäre hingegen falsch, selbst wenn
Frau Müller wirklich eine Professur für Philosophie inne hätte,
also Professorin ist. Und das ist natürlich Unsinn.
Laut
John Searle ist die Sprache selbst eine institutionelle Tatsache und
zwar diejenige, die allen anderen institutionellen Tatsachen voraus
geht, ihnen zu Grunde liegt. Nur vermittels der Sprache können
institutionelle Tatsachen überhaupt geschaffen werden, existieren
und auch wieder verschwinden. Der Begriff Gender
stammt aus der englischen Sprache, die damit, anders als die
deutsche, den Unterschied zwischen biologischem Geschlecht und
sozialem Geschlecht markiert. In der eingeführten Terminologie ist
das biologische Geschlecht einer Person eine rohe Tatsache, das
soziale Geschlecht hingegen eine institutionelle. Letzteres
entspricht einer spezifischen Rolle, die die Person einnehmen kann,
die in modernen, aufgeklärten Gesellschaften jedoch nicht eindeutig
festgelegt sein muss. In der Sprache, zumal der deutschen, kommt das
grammatikalische Geschlecht (Genus) ins Spiel, das als Element der
Sprache ebenfalls eine institutionelle Tatsache darstellt. Genus und
Gender haben den gleichen Wortstamm,
und
aus der Etymologie ist bekannt, dass der Begriff des Geschlechts im
genealogischen Sinne, also als Bezeichnung der Zugehörigkeit zu
einer bestimmten Familie, historisch noch vor dem Begriff des
Geschlechts in seiner grammatikalischen Bedeutung entstanden ist.
Im
Zentrum des Diskurses um die geschlechtergerechte Sprache steht das
Verhältnis von und die Wechselwirkung zwischen den drei Kategorien
biologisches Geschlecht, grammatikalisches Geschlecht und soziales
Geschlecht. Der benannte Kategorienfehler rührt daher, dass in
diesem Diskurs wild zwischen diesen drei sehr unterschiedlichen
Kategorien hin und her gesprungen wird, und das übrigens nicht nur
von den Gendersprachaktivisten. Bewusst oder unbewusst wird mit der
Mehrdeutigkeit des Begriffs Geschlecht
hantiert. Wie eingangs angemerkt, ist ein Begriff jedoch mehr als
bloß ein Wort, er umfasst auch die Regeln seiner korrekten
Verwendung. Werden die Regeln der korrekten Verwendung missachtet,
kommt es zu Fehldeutungen, Missverständnissen und letztlich
inhaltslosen Kontroversen.
Zum Verhältnis von Denken und Sprache
Im
Roman 1984
beschreibt George Orwell, wie in einem totalitären Überwachungsstaat
vom herrschenden System eine künstliche Sprache, das Neusprech,
vorgeschrieben wird. Der Wortschatz soll so reduziert werden, dass
ein differenziertes Denken unmöglich wird. „Sprache formt das
Denken.“, lautet die zu Grunde liegende These, die zurückgeht auf
die Sprachtheorie von Sapir und Whorf. Diese besagt, dass die Sprache
unser Denken dadurch bestimmt, dass sie Kategorien für die Art und
Weise, wie wir die Welt sehen, also Weltsichten, vorgibt.3
Nach
meinem Verständnis kann die These der Gendersprachaktivisten
folgendermaßen formuliert werden:
Das
grammatikalische Geschlecht (Genus) des Wortes, mit dem eine soziale
Rolle bezeichnet wird, determiniert das soziale Geschlecht (Gender)
der potenziellen Rolleninhaber und damit auch das biologische
Geschlecht (Sexus) der Personen, die als potenzielle Rolleninhaber
in Betracht kommen.
Die
Amtsbezeichnung „der Präsident“ im generischen Maskulinum
(Genus) bestimmt demnach das soziale Geschlecht „männlich“
(Gender), wonach eben nur Personen männlichen Geschlechts (Sexus)
dieses Amt besetzen können. Gemeint ist damit natürlich kein
strenger Determinismus im Sinne einer Ursache-Wirkung-Kausalität,
sondern eine bestimmte Erwartungshaltung der Sprecher, die darin zum
Ausdruck kommt, dass das Amt „Präsident“ von vornherein als mit
einer männlichen Person zu besetzen assoziiert wird. Einem solchen
Assoziationsautomatismus soll mit der Verwendung des Gendersternchens
oder des substantivierten Partizips I vorgebeugt werden. Ungeachtet
des damit verbundenen Kategorienfehlers, der oben in Rede stand, ist
kritisch nachzufragen, ob es zum einen eine solche Determiniertheit
unseres Denkens durch Sprache wirklich gibt und ob zum anderen eine
Änderung unseres Sprechens über Rollen und Personen zu einer
Änderung unseres Denkens über institutionelle Tatsachen führen
kann.
Linguistik,
Kognitionswissenschaften und Sprachphilosophie sind sich inzwischen
weitgehend darüber einig, dass weder das Denken die Sprache
determiniert, noch umgekehrt die Sprache das Denken, vielmehr handelt
es sich um eine komplexe Wechselbeziehung beider. Unser Denken findet
seinen Ausdruck in sprachlichem und nichtsprachlichem Handeln, und
nur der bewusste Teil unseres Denkens findet selbst in Sprache statt.
Insofern ist die Sprache zwar ein Werkzeug unseres Denkens und
schränkt unsere Artikulationsmöglichkeiten auf die je verfügbaren
sprachlichen Mittel (Wortschatz, Grammatik, Logik etc.) ein, sie legt
aber nicht fest, was und wie wir denken. Andernfalls wären kognitive
Leistungen wie Ideen, Träume, Phantasien (i. Ü. auch
Mehrsprachigkeit) nicht erklärbar. Nicht erklärbar wäre mithin,
wie das
Neue
in die Welt kommt, erst recht nicht, wie neue Wörter und Begriffe
entstehen. Wer jemals ernsthaft Kunst oder Wissenschaft betrieben
hat, wird bestätigen können, dass es ein unbewusstes, nicht
sprachgebundenes Denken ebenso gibt wie ein unbewusstes, nicht
sprachgebundenes Handeln. Neue Gedanken, Ideen, Assoziationen tauchen
scheinbar aus dem Nichts auf aus dem unbewussten Teil unserer Psyche
und müssen, um sie anderen verständlich zu machen, häufig erst
mühsam in Worte gefasst werden. In der Kunst (ausgenommen die
Literatur) gelingt das so gut wie nie, in der Wissenschaft ist dazu
ein z. T. enormer Übersetzungsaufwand erforderlich. Exemplarisch sei
auf den physikalischen Begriff Quark
verwiesen. Unter einem Quark wird in der Quantentheorie ein
Elementarteilchen verstanden, aus dem die Bausteine des Atomkerns,
die Protonen und Neutronen, zusammengesetzt sind. Vereinfacht
gesprochen bestehen Proton und Neutron aus je drei Quarks. Der
Begriff Quark
wurde vom US-amerikanischen Physiker Murray Gell-Mann Anfang der
1960er Jahre aufgrund einer theoretischen Notwendigkeit eingeführt.
Gell-Mann entnahm das deutsche Wort Quark
dem Roman Finnegans
Wake
von James Joyce, der es seinerseits während einer Deutschlandreise
aufgeschnappt hatte. Was ist damit gesagt? Gell-Mann war in seiner
theoretischen Forschung zu der Einsicht gelangt, dass sich bestimmte
Eigenschaften der seinerzeit bekannten Elementarteilchen nur
befriedigend erklären lassen, wenn man postuliert, dass sie aus noch
„elementareren“ Teilchen zusammengesetzt sind. Es fehlte jedoch
ein Wort, um diese Teilchen zu bezeichnen. Die Idee war vorhanden,
sie konnte allerdings nicht sprachlich ausgedrückt werden. Dass
Gell-Mann sich gerade bei James Joyce bediente, braucht hier nicht
thematisiert zu werden. Entscheidend ist lediglich, dass er ein Wort
fand, dass im Englischen bis dahin mit keinerlei Bedeutung aufgeladen
war, da es ein originär deutsches Wort und, anders als bspw.
Blitzkrieg oder Wanderlust, auch nicht als Lehnwort adoptiert worden
ist. So bekam das Wort Quark im Englischen eine konkrete Bedeutung,
die es bis dahin nicht hatte. Ungeachtet verschiedener
sprachphilosophischer Bedeutungstheorien
dürfte unstrittig sein, dass viele Wörter ihre Bedeutung dadurch
erhalten, dass mit ihnen je nach Kontext bestimmte Bilder und
Vorstellungen assoziiert werden. Mit dem Wort Baum
assoziiere ich normalerweise das Bild eines konkreten Baums aus Holz
in der Landschaft. Bewege ich mich im Bereich der Mathematik oder
Informatik, assoziiere ich mit dem Begriff Baum
das Bild eines Graphen
eines bestimmten Typs4,
ein abstraktes Strichgebilde also.
Nehmen
wir z. B. das Wort Forschende,
das seit geraumer Zeit Eingang in die Berichterstattung über
wissenschaftliche Erkenntnisse, etwa auf Deutschlandfunk Nova,
gefunden hat. Es heißt dann, Forschende hätten dies und jenes
herausgefunden oder dies und jenes behauptet. Der Begriff Forschende
wird hier offensichtlich als gendersprachlicher Ersatz für den
traditionellen Begriff Wissenschaftler
verwendet, um so das generische Maskulinum zu vermeiden. Das gelingt
deshalb, weil das substantivierte Partizip I keine grammatikalische
Geschlechtsformen kennt: Der Forschende, die Forschende, das
Forschende und die Forschenden. Statt von den
Forschenden
könnte man gewiss auch von den Wissenschafttreibenden oder
Wissenschaft Treibenden (laut Duden geht beides) sprechen, nur klingt
dies irgendwie sehr umständlich und gekünstelt. Führt nun das
Sprechen von den
Forschenden
zu einer Änderung meiner Assoziationen in Bezug auf die Personen,
die man bis vor kurzem noch Wissenschaftler nannte? In gewissem Sinne
schon, denn der Begriff der Forschung ist per se weiter gefasst als
der Begriff der Wissenschaft. Forschung kann im akademischen Raum
stattfinden, aber auch in der Industrie oder ganz privat, ohne
institutionelle Anbindung. So nennt sich der auch aus dem
Philosophischen Quartett bekannte Autor Rüdiger Safranski (u.a.
Romantik.
Eine deutsche Affäre,
Zeit,
was sie mit uns macht und was wir aus ihr machen)
einen
Privatgelehrten. Er
ist gewiss ein Forscher, aber sicher kein Wissenschaftler im
eigentlichen Sinn. Forschung ist eine Tätigkeit, Wissenschaft ist
institutionalisierte Forschung, und ein Wissenschaftler ist ein
Angehöriger des institutionalisierten Wissenschaftssystems. Zu guter
Letzt kann man auch Wissenschaftler sein, ohne zu forschen, bspw. als
Uni-Professor, der lediglich seinen Lehrauftrag erfüllt.
In
jüngster Zeit ist der Begriff Mitarbeitende
in Gebrauch gekommen. Mit diesem verhält es sich meiner Ansicht nach
noch problematischer, denn die Diskrepanz zwischen intendierter und
assoziierter Bedeutung des Wortes erscheint noch größer als beim
o.g. Beispiel. Die intendierte Bedeutung des Wortes umfasst
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einer Institution (Unternehmen,
Behörde etc.), also schlicht deren Arbeiter und Angestellte. Mache
ich mir eine Vorstellung von einem Mitarbeitenden, dann erscheint vor
meinem inneren Auge eine Gruppe von Personen, die gemeinsam an einer
Aufgabe arbeiten, die an der Lösung der Aufgabe mitarbeiten.
Diese Assoziation entspricht offensichtlich nicht der eigentlich
intendierten Bedeutung des Begriffs, die doch die Rolle bzw. den
Status von Personen innerhalb einer Institution umfassen soll. Es
zeigt sich auch in diesem Fall, dass die Verwendung des
substantivierten Partizips I eben nicht, wie beabsichtigt, zu Rollen-
sondern zu Tätigkeitsassoziationen führt und die damit verfolgte
Bedeutungszuweisung nicht erreicht wird. Insofern führt das andere
Sprechen wirklich zu einem anderen Denken, doch gewiss nicht in dem
von den Gendersprachaktivisten beabsichtigten Sinne.
1
Nach Ansicht von Robert Brandom kann dieses Konzept auf Kant
zurückgeführt werden. Robert Brandom, Wiedererinnerter Idealismus.
Berlin 2015, S. 23ff
2
John R. Searle, Die Konstruktion der gesellschaftlichen
Wirklichkeit. Frankfurt/M. 2005
3
Siehe auch Wittgensteins Satz: „Die Grenzen meiner Sprache sind
die Grenzen meiner Welt.“
4
Genauer gesagt: Ein Baum ist ein zusammenhängender Graph ohne
Zyklen.