Mittwoch, 14. März 2012

Angst, Freiheit, Tod


Die Ahnung, dass der Tod unvermeidlich und das Leben sinnlos ist, macht ihm [dem Menschen] Angst; zugleich klammert er sich an den tröstenden Glau­ben, dass sein Leben ewig oder zumindest bedeutsam sei. Dies führt zu ei­nem inneren Konflikt, den man manchmal auch als „existenzielle Angst“ oder anschaulicher als „das Trauma des Nicht-Seins“ bezeichnet.
Existenzielle Angst ist so verstörend, dass die meisten Menschen sie unter allen Umständen vermeiden wollen. Sie konstruieren sich eine nicht authen­tische, aber tröstende Realität aus Moralkodizes, bürgerlichen Wertvorstel­lungen, Gewohnheiten, Bräuchen, Kultur und wohl auch Religion...
Nach dem Philosophen Jean-Paul Sartre (1905-1980) handelt eine Person in „schlechtem Glauben“, wenn sie sich weigert, sich dem „Nicht-Sein“ zu stel­len. Und dasselbe gilt für ein Leben, das nicht authentisch und nicht erfül­lend ist. Wenn man sich dem Nicht-Sein stellt, kann dies ein Gefühl von Ruhe, Freiheit, ja sogar Vornehmheit vermitteln, und – ja – es kann auch Un­sicherheit, Einsamkeit, Verantwortung und folglich Angst mit sich bringen. Diese Angst ist jedoch keineswegs pathologisch, sondern vielmehr ein Zei­chen von Gesundheit, Stärke und Mut. Freud merkt dazu an, dass die meis­ten Menschen im Grunde genommen gar keine Freiheit wollen, weil Frei­heit Verantwortung bedeutet und Verantwortung den meisten Menschen Angst macht...
Wenn sich ein Mensch dem Nicht-Sein stellt, wird er dazu befähigt, sein Le­ben in die richtige Perspektive zu rücken, es in seiner Gesamtheit zu begrei­fen und ihm dadurch Richtung und Einheit zu verleihen. Wenn der Ur­sprung der Angst letztendlich die Angst vor der Zukunft ist, endet die Zu­kunft mit dem Tod; und wenn der Ursprung der Angst letztendlich die Unge­wissheit ist, dann ist der Tod die einzige Gewissheit. Sich dem Tod zu stel­len, seine Unvermeidbarkeit zu akzeptieren und ihn ins Leben zu integrie­ren, heilt den Menschen nicht nur von der Neurose, sondern befähigt ihn auch dazu, das Beste aus seinem Leben zu machen...
Manchen Menschen gelingt es, in der Religion Sinn zu finden, vielen ande­ren jedoch nicht. Wenn ein Mensch keinen Sinn in der Religion finden kann, kann er dann überhaupt einen Sinn finden? Erstens muss er die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass das Leben an sich keinen Sinn hat. Das ermutigt ihn, sein Leben sub specie aeternitatis (unter dem Gesichtspunkt der Ewig­keit) zu sehen und es auf diese Weise in einen Kontext und in die richtige Perspektive zu rücken. Zweitens muss er höhere Ziele und Impulse verfol­gen, die nicht in ihm selbst liegen, sondern universell sind, etwa in­dem er sich der Menschheit oder der Philosophie widmet. Weil derartige Ziele und Impulse unbegrenzt und zum Wohle anderer sind, bergen sie am ehesten einen Anschein von Sinnhaftigkeit. Drittens müssen die ausgewähl­ten Ziele und Impulse eine in sich stimmige Beziehung zueinander haben und Teil ei­ner einenden Vision sein, die sie als etwas erscheinen lässt, das mehr ist als nur eine bloße Aneinanderreihung isolierter Erfahrungen. Eine solche einende Vision muss an reiflich durchdachten Idealen ausgerichtet sein, da­mit der Versuch, sich an ihnen zu orientieren und nach ihnen zu le­ben, so­wohl als inspirierend als auch als motivierend erlebt wird. Dabei verlagert sich das Hauptaugenmerk von der Zukunft hin zum Hier und Jetzt, und vom Ziel hin zum Prozess, der auf dieses Ziel zuführt. Indem man sich in das Hier und Jetzt vertieft, tritt die Zukunft – der ultimative Ursprung al­ler Angst – schlicht in den Hintergrund.

zitiert aus: Neel Burton. Der Sinn des Wahnsinns. Heidelberg 2011. Kap. 5 Angst, Freiheit und Tod, S. 179ff

Der Krieg des Partisanen

Der Krieg der absoluten Feindschaft kennt keine Hegung. Der folgerichtige Vollzug einer absoluten Feindschaft gibt ihm seinen Sinn und seine...