Dienstag, 13. Oktober 2015

Von Galgen und Gerechtigkeit

Seit gestern (12.10.2015) echauffiert sich die Republik über die auf der Dresdener Pegida-Demo herumge­tragenen Galgen für Merkel und Gabriel. Berichterstatter, Kommentatoren und Politiker über­schlagen sich in Verurteilungen, und die Dresdener Staatsanwaltschaft ermittelt.
Was bei all der Aufregung offenbar unbeachtet bleibt, ist, dass solcherart Symbolik nicht von ungefähr kommt und bereits seit einigen Jahren den öffentlichen Raum verschmutzt. Was ich meine, sind Heckscheibenbeschriftungen, die die Todesstrafe für Kinderschänder fordern oder diesen, wie auf dem folgenden, von mir vor drei Jahren in Schierke am Brocken aufgenommenen Foto noch expliziter eben jenen Galgen wünschen.



Aus Datenschutzgründen habe ich das Kennzeichen nachträglich abgeschnitten, sei­nerzeit aber eine Anzeige wegen Aufrufs zum Lynchmord in Erwägung gezogen.
Mich irritieren diese offenen Aufrufe zur Gewaltanwendung. Schwer zu sagen, was in den Köp­fen der Menschen vor sich geht, die mit solchen Statements ihre Mitmenschen belästigen. Ist es Zorn, Hass, Verachtung? Persönliche Betroffenheit kann es, der relativ großen Zahl der Fahrzeuge nach, die solche Beschriftungen tragen, nicht wirklich sein. Doch es zeigt einmal mehr, wie dünn bis­weilen unser zivilisatorischer Firnis ist. Was außerdem auffällt, ist, dass mir die Aufschriften nur im Osten begegnen, dort, wo auch Pegida und AfD unterwegs sind, Angst, Verachtung und Hass zu schüren.
Wieso tolerieren wir das? Als ich das Thema der Heckscheibenparolen in einem Gespräch meiner Kirchengemeinde, bei dem es um Das Böse ging, ansprach, kam von den Gesprächsteil­nehmern nur ein Abwinken. Ich solle das nicht so ernst nehmen. Auch diese Reaktion hat mich irritiert. Denn, haben wir etwa vergessen, wie schnell unter bestimmten Umständen aus men­schenverachtendem Denken gewalttätiges Handeln werden kann? Gegen Straftäter, gegen Fremde, gegen Obdachlose, gegen Homosexuelle, gegen Behinderte, gegen Politiker und schlussendlich gegen jeden, dessen Denken und Handeln sich nicht in den eingeschränkten Horizont dieser vorgeblichen Gerechtigkeitsaktivisten einpasst.
„Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet.“ schrieb Carl Schmitt in seiner Politischen Theologie. Falsch verstandene Toleranz kann dazu führen, dass die sich souverän, weil nicht widersprochen, fühlenden Gerechtigkeitsaktivisten den Ausnahmezustand herbeiführen. Und wenn gar Cars­ten Rentzing, Sachsens evangelischer Landesbischof, im Juni über Pegida sagt: "Solange eine Demonstration den Regeln dieser Gesellschaft folgt, gibt es auch kein Recht, das zu kritisie­ren.", dann ist das ein Paradebeispiel für diese falsch verstandene Toleranz, die nur allzu oft als politische Korrektheit daher kommt.
Vor einiger Zeit hat der israelisch-schweizerische Philosoph Carlo Strenger einen knappen Essay oder vielmehr ein flammendes Pamphlet zur Verteidigung unserer linken (sic!) Werte gegen den Relativismus der politischen Korrektheit (p.c.) geschrieben. Das Buch trägt den Ti­tel „Zivilisierte Verachtung“1, und seine Botschaft ist, das mit Verachtung zu strafen, was wir für falsch halten, auch wenn uns die p.c. einzureden versucht, dass alles, auch die merkwür­digste und abwegigste Meinung, Ideologie oder Religion eine Berechtigung habe und verdiene, akzeptiert und toleriert zu werden, ohne dabei aber die Träger oder Verkünder solcher Mei­nungen zu verachten. Er diagnostiziert, dass die grassierende p.c. auf einem Missverständnis des Aufklärungsgedankens basieren würde. Die Aufklärung, die er als Elitenprojekt (sic!) be­zeichnet, habe nämlich nie und nimmer angestrebt, dass der Mensch sich von gänzlich allem befreien solle, vielmehr sei es ihr um die Befreiung von religiöser, ideologischer, politischer Fremdbestimmung gegangen und dabei eben nicht um die absolut gleichberechtigte Geltung jeglicher Meinungen, nicht um das anything goes.
Ich gebe zu, mich mit dem Grundgedanken Strengers anfreunden zu können, gerade wenn es darum geht, Phänomene oder Meinungen akzeptieren zu sollen, wenn sie meinem Verstand widersprechen, den ich nicht einmal als gesunden zu bezeichnen wage, der mir aber häufig vernünftiger vorkommt als manch, z.T. auch akademischer Mainstream. Schwierig hingegen scheint mir, die empfohlene zivilisierte Verachtung nur den Ideen und Verhaltensweisen ent­gegen zu bringen, ohne den Meinungsträgern und Handelnden ebenso mit Verachtung zu be­gegnen, denn das hieße ja, dass diese diskursfähig sein müssten, was in den meisten Fällen – eben bei Ideologen, Sektierern, Fundamentalisten u.d.g.m – mitnichten der Fall ist. Und so fällt es schwer, die oben thematisierten Gerechtigkeitsaktivisten nicht mit Verachtung zu begegnen, auch wenn dies Strenger zufolge ein Ausdruck wirklicher Zivilisiertheit wäre.

1 Carlo Strenger. Zivilisierte Verachtung: Eine Anleitung zur Verteidigung unserer Freiheit. Suhrkamp 2015

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