Seit
gestern (12.10.2015) echauffiert sich die Republik über die auf der Dresdener
Pegida-Demo herumgetragenen Galgen für Merkel und Gabriel.
Berichterstatter, Kommentatoren und Politiker überschlagen sich
in Verurteilungen, und die Dresdener Staatsanwaltschaft ermittelt.
Was
bei all der Aufregung offenbar unbeachtet bleibt, ist, dass
solcherart Symbolik nicht von ungefähr kommt und bereits seit
einigen Jahren den öffentlichen Raum verschmutzt. Was ich meine, sind
Heckscheibenbeschriftungen, die die Todesstrafe für
Kinderschänder fordern oder diesen, wie auf dem folgenden, von mir
vor drei Jahren in Schierke am Brocken aufgenommenen Foto noch
expliziter eben jenen Galgen wünschen.
Aus Datenschutzgründen habe ich das Kennzeichen nachträglich
abgeschnitten, seinerzeit aber eine Anzeige wegen Aufrufs zum
Lynchmord in Erwägung gezogen.
Mich
irritieren diese offenen Aufrufe zur Gewaltanwendung. Schwer zu
sagen, was in den Köpfen der Menschen vor sich geht, die mit
solchen Statements ihre Mitmenschen belästigen. Ist es Zorn, Hass,
Verachtung? Persönliche Betroffenheit kann es, der relativ großen
Zahl der Fahrzeuge nach, die solche Beschriftungen tragen, nicht
wirklich sein. Doch es zeigt einmal mehr, wie dünn bisweilen
unser zivilisatorischer Firnis ist. Was außerdem auffällt, ist,
dass mir die Aufschriften nur im Osten begegnen, dort, wo auch Pegida
und AfD unterwegs sind, Angst, Verachtung und Hass zu schüren.
Wieso
tolerieren wir das?
Als ich das Thema der Heckscheibenparolen in einem Gespräch meiner
Kirchengemeinde, bei dem es um Das
Böse
ging, ansprach, kam von den Gesprächsteilnehmern nur ein
Abwinken. Ich solle das nicht so ernst nehmen. Auch diese Reaktion
hat mich irritiert. Denn, haben wir etwa vergessen, wie schnell unter
bestimmten Umständen aus menschenverachtendem Denken
gewalttätiges Handeln werden kann? Gegen Straftäter, gegen Fremde,
gegen Obdachlose, gegen Homosexuelle, gegen Behinderte, gegen
Politiker und schlussendlich gegen jeden, dessen Denken und Handeln
sich nicht in den eingeschränkten Horizont dieser vorgeblichen
Gerechtigkeitsaktivisten einpasst.
„Souverän
ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet.“ schrieb Carl
Schmitt in seiner Politischen
Theologie. Falsch verstandene Toleranz kann dazu führen, dass
die sich souverän, weil nicht widersprochen, fühlenden
Gerechtigkeitsaktivisten den Ausnahmezustand herbeiführen. Und wenn
gar Carsten
Rentzing, Sachsens evangelischer Landesbischof, im Juni über Pegida
sagt: "Solange eine Demonstration den Regeln dieser Gesellschaft
folgt, gibt es auch kein Recht, das zu kritisieren.", dann
ist das ein Paradebeispiel für diese falsch verstandene Toleranz,
die nur allzu oft als politische Korrektheit daher kommt.
Vor
einiger Zeit hat der israelisch-schweizerische Philosoph Carlo
Strenger einen knappen Essay oder vielmehr ein flammendes Pamphlet
zur Verteidigung unserer linken (sic!) Werte gegen den Relativismus
der politischen Korrektheit (p.c.) geschrieben. Das Buch trägt den
Titel „Zivilisierte Verachtung“1,
und seine Botschaft ist, das mit Verachtung zu strafen, was wir für
falsch halten, auch wenn uns die p.c. einzureden versucht, dass
alles, auch die merkwürdigste und abwegigste Meinung, Ideologie
oder Religion eine Berechtigung habe und verdiene, akzeptiert und
toleriert zu werden, ohne dabei aber die Träger oder Verkünder
solcher Meinungen zu verachten. Er diagnostiziert, dass die
grassierende p.c. auf einem Missverständnis des Aufklärungsgedankens
basieren würde. Die Aufklärung, die er als Elitenprojekt (sic!)
bezeichnet, habe nämlich nie und nimmer angestrebt, dass der
Mensch sich von gänzlich allem befreien solle, vielmehr sei es ihr
um die Befreiung von religiöser, ideologischer, politischer
Fremdbestimmung gegangen und dabei eben nicht um die absolut
gleichberechtigte Geltung jeglicher Meinungen, nicht um das anything
goes.
Ich
gebe zu, mich mit dem Grundgedanken Strengers anfreunden zu können,
gerade wenn es darum geht, Phänomene oder Meinungen akzeptieren zu
sollen, wenn sie meinem Verstand widersprechen, den ich nicht einmal
als gesunden zu bezeichnen wage, der mir aber häufig vernünftiger
vorkommt als manch, z.T. auch akademischer Mainstream. Schwierig
hingegen scheint mir, die empfohlene zivilisierte Verachtung nur den
Ideen und Verhaltensweisen entgegen zu bringen, ohne den
Meinungsträgern und Handelnden ebenso mit Verachtung zu begegnen,
denn das hieße ja, dass diese diskursfähig sein müssten, was in
den meisten Fällen – eben bei Ideologen, Sektierern,
Fundamentalisten u.d.g.m – mitnichten der Fall ist. Und so fällt
es schwer, die oben thematisierten Gerechtigkeitsaktivisten nicht mit
Verachtung zu begegnen, auch wenn dies Strenger zufolge ein Ausdruck wirklicher Zivilisiertheit wäre.
1 Carlo
Strenger. Zivilisierte
Verachtung: Eine Anleitung zur Verteidigung unserer Freiheit.
Suhrkamp 2015