Donnerstag, 20. Oktober 2016

Gedanken zum Islam in Deutschland

  1. Es ist nicht die Religion, die uns befremdet, es sind die Sitten und Gebräuche derer, die sich offen zum Islam bekennen. Wir haben es verlernt, mit Menschen umzugehen, für die die Einhaltung von Vorschriften und die Ausübung von Ritualen zum Kern ihres Religionsverständnisses gehört.
  2. Wir haben auch verlernt, in wirklich historischen Dimensionen zu denken. Zur Kurzatmigkeit der Politik hat sich eine Kurzfristigkeit der historischen Perspektive gesellt. Wir erwarten Integration und Assimilation in Zeitspannen, die nicht einmal eine Generation umfassen. Mit etwas mehr Gelassenheit und Geduld, die wir auch den Muslimen entgegenbringen sollten, werden sich die aktuell als so gravierend empfundenen Probleme irgendwann von selbst erledigen. Das war noch immer so.
  3. Ich stimme Michel Houellebecq zu in der Einschätzung, dass der Islamismus, insbesondere seine terroristische Spielart, aufgrund von physischer und mentaler Erschöpfung mittelfristig von der politischen Bildfläche verschwinden wird. Zuerst vermutlich in Deutschland, weil es (1) hierzulande weniger soziale Anknüpfungspunkte gibt als bspw. in Frankreich, Belgien oder den USA, (2) wegen seiner andauernden Erfolglosigkeit sowohl bei der Rekrutierung von Anhängern als auch bei der Durchführung von Anschlägen (Wir lernen dazu.) und (3), wie der Fall des Syrers aus Chemnitz zeigt, es gerade die Hunderttausenden von muslimischen Migranten sind, die, weil sie in Deutschland in Ruhe leben und arbeiten wollen, verhindern werden, dass radikale Islamisten ihnen dies vermasseln.
  4. Freilich wird die Religion nicht verschwinden. Wer das erwartet, hat nicht verstanden, dass Religiösität inzwischen gerade deshalb wieder attraktiv wird, weil sie dem allein ge- und sich selbst überlassenen Einzelnen in unserer säkularisierten, partikularisierten und durchökonomisierten Gesellschaft Anknüpfungspunkte für Identität und moralische Stabilität bietet. Der muslimische Migrant wird dies mehr noch benötigen als der Einheimische.
  5. Der Islam ist keineswegs eine dumme Religion, wie dies Michel Houellebecq behauptet, jedenfalls ist er nicht dümmer als andere Religionen auch, wenn man denn schon in solchen Kategorien denken möchte. Allerdings ist der Islam dem Laien völlig unverständlich, umsomehr als der Koran, abgesehen von der ersten und der hundertzwölften Sure, ein größtenteils konfus erscheinender Text ist. Angesichts dieser Unverständlichkeit und der Tatsache, dass der Koran ausschließlich in Arabischer Sprache gelehrt und zitiert werden darf, kann man bezweifeln, dass einfache Gläubige ohne die Hilfe von Korangelehrten überhaupt verstehen, was sie da glauben. Das aber bietet eine Chance für die Vermittlung eines Islams fernab von Wahabismus, Salafismus oder seiner politischen Spielart iranischer Prägung.
  6. Islam ist, anders als europäisches oder nordamerikanisches Christentum, eine Lebensform. Eine Religion als Lebensform ist mehr als nur Religionsausübung, sie ist eine sich selbst konstituierende Lebenswirklichkeit. Das war das Christentum einst auch, nur haben wir auch das vergessen. So, wie nach Wittgenstein eine Sprache eine Lebensform definiert, hat eine Lebensform eben auch eine eigene Sprache. Und weil, wiederum nach Wittgenstein, die Grenzen meiner Sprache die Grenzen meiner Welt bedeuten, und das meint auch die Grenzen meiner Vorstellung, scheint es ausgesprochen schwierig, eine gelingende Kommunikation zwischen der westlichen und der islamischen Lebensform herzustellen.
  7. Die Sprache des Islam ist das Altarabische des Koran, eine tote Sprache ebenso wie das katholisch-wissenschaftliche Latein. Das europäische Christentum konnte sich erst modernisieren, als es begann, in seinen Texten und in seiner Lithurgie die tote Sprache abzulegen und sich der natürlich evolvierenden „normalen Sprache“ zu bedienen. Die Benutzung der normalen Sprache im religiösen Kontext bewirkte eine Öffnung des hermetischen Raums der mittelalterlischen Theologie hin zur wirklichen Welt. Sie bedeutete damit auch den Abschied vom Anspruch, die wirkliche Welt, das Leben der Menschen nach theologischen Dogmen zu ordnen. An die Stelle dieses überkommenen Anspruchs trat das Bestreben danach, wie es seinerzeit Luther sagte, „dem Volk aufs Maul“ zu schauen, oder, wie es heutzutage p.c. formuliert wird, die Menschen da abzuhohlen, wo sie stehen. Ich meine, dass der Islam nur dann eine globale Überlebensperspektive hat, wenn er genau dies tut.
  8. Den Satz: „Der Islam gehört zu Deutschland.“, habe ich seinerzeit schon nicht verstanden, und ich verstehe ihn heute noch weniger. Was soll er bedeuten? Wenn er bedeuten soll, dass in Deutschland Staatsbürger und Angehörige anderer Staaten leben, die sich selbst als Muslime sehen, dann ist er trivial. Sollte er allerdings bedeuten, dass der Islam als Religion, also als Lebensform, ein konstituierendes Element der heimischen Gesellschaft oder des heimisches Staatswesen sei, so ist er schlichtweg falsch. Denn natürlich kann man sich eine funktionierende Gesellschaft nebst funktionierendem Staat sehr wohl ohne Muslime denken. Was also soll dieser Satz des damaligen Bundespräsidenten Wulff besagen? Will er nicht trivial, falsch oder inhaltsleer sein, dann kann er doch wohl nur besagen, dass sich die hiesige politische Klasse, deren exponierter Angehöriger Wulff ja war, schlicht damit abgefunden hat, dass sich der Islam in Gestalt der hier lebenden Muslime und ihrer selbst ernannten Vertreter hier dauerhaft eingerichtet hat und so wie jede Lebensform versucht, seine Umwelt, die hiesige Gesellschaft also, nach seinen Bedürfnissen umzugestalten (siehe Maturana/Varela). Aber ist dies wünschenswert?

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