Freitag, 31. August 2012

Ach Lance, ach Ulle!


Nun ist es also endlich raus: Der große Lance ist überführt. Er wurde zwar nie erwischt, doch die Zeugenaussagen scheinen so stichhaltig, dass jedenfalls für die amerikanische Antidopingagentur USADA keine Zweifel mehr daran bestehen, dass Lance Armstrong jahrelang systematisch gedopt hat. Und das ist natürlich alles andere als eine Überraschung.
Wir, die wir den Profiradsport seit Jahrzehnten verfolgen und als mehr oder weniger ambitionierte Hobby-Radler eine ganz gute Vorstellung davon haben, was die Jungs auf den Carbon-Maschinen bei der Tour de France, beim Giro d´ Italia oder bei den schweren Eintagesrennen wie Paris-Roubaix zu leisten haben, wir, die wir uns mit Leidenschaft und unter Schmerzen über die legendären Alpen- und Pyrenäenpässe quälen oder mit Gleichgesinnten an Jedermann-Rennen über mehr als 200 km und 4000 Höhenmeter teilnehmen, nur um den Hauch eines Eindrucks davon zu bekommen, was es bedeutet, Radprofi zu sein, und dabei nicht einmal das Privileg gesperrter Straßen genießen dürfen, ja wir haben es die ganze Zeit gewusst. 


     Lance Armstrong 2002 am Mt. Ventoux ((c) Autor)

Insofern Wissen nichts anderes ist als begründete Überzeugung, haben wir gewusst, dass auch und gerade Lance in die medizinische Trickkiste gegriffen hat. Warum auch sollte, wenn über all die Jahre rundherum ein Profi nach dem anderen beim Dopen erwischt wurde, gerade er sauber gewesen sein? Das erscheint heute und es erschien schon damals höchst unplausibel. Nicht, dass mir Ulle leidtun würde, doch seine Aussage, er habe niemanden betrogen, ist unter den herrschenden juristischen Umständen in ihrer Ehrlichkeit und Eindeutigkeit kaum zu toppen.
Es wäre sicher zu einfach, das Thema Doping lapidar mit dem Verweis auf die verderbliche Macht des Geldes abzutun. Der Profiradsport gehört, gemessen an der Dichte des Wettkampfkalenders, an der Schinderei der Athleten und den Risiken, denen sie ausgesetzt sind, zu den schlecht bezahltesten Sportarten überhaupt, auch und gerade was das Preisgeld angeht. „Wo es ums Geld geht wird betrogen.“, greift hier zu kurz. Der Sportsoziologe und Philosoph Gunter Gebauer hat das, worum es bei der Tour de France wirklich geht, in die folgenden Worte gefasst: „Die Tour ist mit allen ihren Facetten diesseitig, mit dem Interesse am Geldverdienen, an Ruhm, Bekanntheit und Darstellung von Männlichkeit, mit der gnadenlosen Konkurrenz, der Erschleichung von Vorteilen, dem Doping, das seit langem zu ihrer Geschichte gehört. Aber diese Banalität des Materiellen wird überhöht, ins Immaterielle gewendet durch den Wunsch, zum Helden zu werden.“[1] Es geht also um Heldentum, es geht um das übermenschliche Leiden und deshalb um die übermenschliche Größe, die der Sieger verkörpert. Das Faszinierende an den Duellen zwischen Lance und Ulle am Anfang des letzten Jahrzehnts war ja, dass beide in Mimik und Gestik dieses übermenschliche Leiden verkörperten. Mit Rasmussen, Contador und den Schleck-Brüdern verschwand diese Faszination umgehend.
Man sollte Lance also nicht nur als eiskalten und rücksichtslosen Geschäftemacher sehen, der alles und jeden für seine persönlichen Interessen missbraucht hat. Das u.a. wird ihm, sicher zu Recht, vorgeworfen. Die Sache ist m.E. viel schlimmer. Der spanische Ex-Radprofi Jesus Manzano hat bei seinen Vernehmungen durch die spanische Staatsanwaltschaft davon berichtet, dass Doping abhängig macht. Dopingmittel sind wohl i.d.R. keine suchterzeugenden Substanzen, doch die zunehmende Abhängigkeit des sportlichen Erfolgs von der Verwendung verbotener Mittel und Methoden, führt eben zur psychischen Abhängigkeit. Damit einher geht dann, laut Manzano, ein zunehmender Realitätsverlust. Der Doper bekommt ein schiefes Bild von sich und von der Welt. Wenn er dazu noch der Überzeugung ist, seine Kollegen täten das Gleiche wie er, wird dieses Bild noch schiefer. Und so ist es auch nicht verwunderlich, dass in diesen Tagen einige Exkollegen Lance Armstrong nicht den Betrug an sich vorwerfen, sondern, dass er sich in jenen Jahren der sportlichen Überlegenheit auch als Mensch ihnen gegenüber wie ein Überlegener verhalten habe. Kurz gesagt: Lance war ein Arsch, und er benimmt sich wohl auch heute noch so. Der Realitätsverlust scheint so tiefgreifend, dass er immer noch meint, unantastbar zu sein wie vor zehn Jahren. Nimmt er womöglich immer noch was?
Und wir? Lieben wir Helden ohne Großmut und ohne Demut? Ne, dann schon lieber Ulle, den gefallenen Engel, der nicht clever genug war, sich ebenso elegant aus der Fuentes-Affäre zu ziehen wie ein Valverde, und nun (in Demut?) beim Ötztaler in der Menge der Jedermänner untertaucht. Vielleicht wollte Ulle, der große Junge, ja nie ein Held werden, bis ihn andere zu einem machten? Vielleicht hatte er von sich aus nie das Ego, die Ruhmsucht oder auch nur den Ehrgeiz gehabt, ganz oben zu stehen und Herr über die Welt zu sein? Das würde ihn für unsereinen wiederum sympathisch machen.
Wichtiger als die Frage, ob Lance nun seine Toursiege aberkannt bekommt, ist, was man sporthistorisch mit den neunziger und nuller Jahren überhaupt anfängt. Die bisherige Praxis, einfach nachträglich den Zweitplatzierten auf den Thron zu hieven, scheint mir in diesem Fall absurd: Ullrich, Klöden und all die anderen waren genauso fragwürdig unterwegs. Mein Vorschlag wäre, keinem seinen Titel abzuerkennen und die Statistiken so zu belassen,  wie sie jetzt sind, aber stattdessen hinter den Namen der Sieger und Platzierten  zu vermerken, ob und wann derjenige nachträglich des Dopings überführt wurde. Das würde zumindest dem Vergessen vorbeugen.



[1] Der Freitag, 18.07.2003

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