Freitag, 17. Mai 2013

Vom Rennsattel aus gesehen


Unter dem etwas sperrigen Namen „3. Nationaler Radverkehrskongress“ fand diese Woche in Deutschlands Radlerhochburg Münster, wie dem Titel zu entnehmen ist, zum dritten Mal eine zweitägige Vortrags- und wohl auch Diskussionsveranstaltung zur Entwicklung des Radfahrens statt. Ausrichter waren das Bundesverkehrsministe­rium, dessen Vorsteher Peter Ramsauer ja erst vor wenigen Wochen öffentlich über Kampfradler geklagt hatte, und das nordrhein-westfälische Verkehrsministerium. Themen waren so wichtige Angelegenheiten wie Pedelecs, Radverleih, Marketing und Kommunikation sowie der Dauerbrenner Sicherheit. Um ehrlich zu sein, solche Vor­zeigeveranstaltungen, bei denen sich Politiker, Verkehrswegestrategen und Marke­tingfuzzis gegenseitig die Wunderbeutel umhängen, interessieren mich nicht sonder­lich. Ich fahre Rennrad, und fühle mich deshalb durch keinen der erwähnten Prot­agonisten, ja nicht einmal durch den Bund Deutscher Radfahrer (BDR) hinreichend vertre­ten.
Vor ein paar Tagen war Himmelfahrt, traditionell der Tag, an dem bundesweit die Straßen von eher weniger nüchternen, Rad fahrenden Männern bevölkert sind. Man sollte meinen, an einem solchen Tag würde jeder Autofahrer in Kenntnis der Traditi­on sich einigermaßen rücksichtsvoll verhalten. Weit gefehlt, man wird genauso an­gepöbelt wie sonst auch, wenn man nicht den kombinierten Fuß-Rad-Weg benutzt, man wird genau so nahkampfmäßig überholt, und entgegen kommende Überholer schießen einen genauso ab, wie sonst auch. Entgegen aller Beteuerungen von Politik oder ADAC gehört die deutsche Landstraße dem Autofahrer und nur ihm. Na gut, die Biker sind dort natürlich auch willkommen, aber alles, was in der Spitze weniger als 100 km/h schafft, stört, muss angehupt, angeschnauzt und bisweilen auch bekämpft werden. Damit nicht genug, wird man an einem solchen Tag auch noch von den Rad­wege benutzenden Feiertagsradlern angepöbelt, die einen in ihrer bierseligen Stim­mung, aus welchen Gründen auch immer, ebenso als abseitig und störend ansehen und ent­sprechend titulieren.
Man könnte wohl darüber stehen, wenn sich hierin nicht ethnisch-kulturelle Kon­stanten des Deutschen als solchem offenbaren würden: Intoleranz, Rechthaberei, Rücksichtslosigkeit, Verachtung des Anderen. Und man könnte wohl darüber hinweg sehen, wenn diese Grundhaltungen nicht immer wieder Tote und Verletzte fordern würden.
Der Rennradfahrer befindet sich dabei in einer prekären Situation. Das Rennradfah­ren ist die wohl einzige Sportart, die, von Lizenz- und einigen wenigen Jedermann­rennen abgesehen, im laufenden öffentlichen Verkehr ausgeübt werden muss, das Training allemal. Während sich Läufer auf Park-, Wald- oder wenigstens Fußwege flüchten können, der Mountainbiker sowieso lieber in Wald, Feld und Flur unterwegs ist, während andere Sportarten eh innerhalb geschützter Refugien wie Stadien und Hallen ausgeübt werden, muss sich der Rennradfahrer gewissermaßen ins wahre Le­ben stürzen und mit allen anderen Straßenbenutzungs­anspruchsberechtigten ausein­andersetzen. Das wäre an sich kein sonderliches Problem, wie die Praxis in und auch meine Erfahrungen mit anderen europäischen Ländern zeigen. Egal ob Niederlande, Belgien, Frankreich, Spanien oder Italien, alles natürlich klassische Radsportnatio­nen, man wird dort einfach anders und zwar freundlich und wohlwollend behandelt, während man in Deutschland eben als störender Fremdkörper angesehen wird. Und zwar so ziemlich von allen. Es ist schlichtweg schwer vorstellbar, dass hierzulande, während man sich einen Anstieg hoch quält und dabei von  wildfremden PKW oder LKW überholt wird, man von Fahrer oder Insassen der Fahrzeuge angefeuert wird. Aus Frankreich, Italien oder Spanien kennt man das wohl.
Zwei Episoden aus den letzten Jahren: Auf dem Rückweg von meiner Hausrunde fah­re ich auf einer 30er-Straße, die von einem so schmalen kombinierten Fuß-Radweg gesäumt wird, dass man ihn guten Gewissens nicht einmal mit einem Cityrad befah­ren würde. Auf der Straße befindet sich u.a. auch ein langgestreckter Verkehrsteiler, der die Fahrbahn ziemlich schmälert, so dass man dort keinen Radfahrer überholen kann. In dieser Verkehrsteilerzone fährt ein roter Opel Astra hinter mir und muss sich natürlich etwas gedulden. Das stört ihn offenbar so sehr, dass er, nachdem er mich anschließend überholt hat, in einem abrupten Rechtsschwenk direkt vor mir schräg zum Stehen kommt, so dass ich fast auf ihn aufpralle. Noch ehe ich mich rich­tig darüber aufregen kann, erklärt mir der Fahrer, dass ich nach seiner Meinung nichts auf der Straße zu suchen, sondern den beschriebenen Fuß-Radweg zu benut­zen hätte. Damals habe ich angefangen, mir für solche und ähnliche Fälle die passen­den arroganten Sätze zu zu legen.
Wiederum an Himmelfahrt waren mein Trainingspartner und ich auf einer feiertagsmä­ßig recht leeren und ruhigen Landstraße unterwegs, als uns ein Renault Laguna über­holte, uns zunächst mit seinem Scheibenwischwasser vollspritze und dann ebenso ab­rupt vor uns stoppte, so dass ich gerade so an ihm vorbei zirkeln konnte, während mein Trainingspartner beim Ausweichmanöver seine linke Flanke streifte und zu Fall kam. Auf erregte Anfrage erklärte uns der Fahrer, wie sich später heraus stellte, ein gewisser Theodor Henkel1, dass wir nebeneinander statt hintereinander gefahren sei­en, und das ja verboten wäre. Das gab mir die Gelegenheit, meine vorgefertigten Sät­ze los zu werden, wie, ob er die StVO wirklich gelesen und auch verstanden zu haben meine, ob er sich wirklich sicher sei, dass die StVO ihm gestatte, so gefährdend in den Straßenverkehr einzugreifen, ob er sich dessen bewusst sei, dass er gerade bewusst und absichtlich die Schädigung von Menschen in Kauf genommen habe, und ob seine Mutter ihm wohl solch eine Verhaltensweise empfohlen habe. Die Geschichte mit Theodor Henkel ging dann noch weiter, doch das zu schildern, erspare ich mir jetzt mal. Wichtig daran ist ja nur, dass sie meine Einschätzung bestätigt: Intoleranz, Rechthaberei, Rücksichtslosigkeit, Verachtung des Anderen.
Nun ist das mit den Radwegen ja ein typischer Alltagsfall von Verstoß gegen das Hu­mesche Gesetz, nach dem Sein nicht Sollen impliziert, denn aus dem Vorhandensein eines Radweges, erst Recht eines kombinierten Fuß-Rad-Weges, folgt längst nicht, dass dieser vom Radfahrer auch unter allen Umständen zu benutzen sei, denn nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 18.11.2010 gilt:
  • Die Fahrbahnbenutzung ist der Regelfall für den Radverkehr.
  • Die Radwegebenutzungspflicht stellt eine Beschränkung des fließenden Rad­verkehrs im Sinne von §45 (9) StVO dar.
  • Sie darf deshalb nur bei einer das allgemeine Risiko erheblich übersteigenden Gefahrenlage angeordnet werden.
Selbst eine Kommune darf eine Radwegebenutzungspflicht also nur unter sehr be­stimmten Umständen aussprechen und muss dies entsprechend eindeutig kennzeich­nen, und Autofahrer sollten, bevor sie sich auf Schilder berufen, um Radfahrer von der Straße zu befördern, über deren genaue Bedeutung resp. Implikationen kun­dig machen. Was die Mehrheit der Autofahrer natürlich nicht tun wird, weshalb sich an der Situation des Rennradlers auf der Straße wohl nichts Wesentliches ändern wird. Er wird in dieser Sandwichposition verbleiben müssen: Zu schnell für den Rad­weg (dort kalkulieren die Verkehrsplaner mit max. 30 km/h, bei kombinierten Fuß-Rad-Wegen innerorts gar nur mit max. 15 km/h) und zu langsam für die Land­straße.
Um nicht falsch verstanden zu werden, ich finde das Verhalten einiger Radler (der, die Ramsauer wohl meinte) genau so kritikwürdig. Besonders die Berliner zeichnen sich hierin nach meiner Erfahrung besonders aus. Nur rechtfertigt natürlich das eine nicht das andere.
Morgen jedenfalls geht es nach Bimbach bei Fulda, und am Pfingstsonntag sind wir dann auf den Straßen in der Rhön in der Mehrheit – wie jedes Jahr.
1Name nicht geändert.

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