Nichts
gegen Presse und Medien, doch manchmal ist der persönliche
Augenschein aufklärender als alle Vorder- und
Hintergrundberichterstattung.
So
war ich denn am Montagabend in erster Linie aus purer Neugier Zeuge
der MAGIDA-Demo vor dem Rathaus, aber auch Teilnehmer der parallelen
Gegenkundgebung. Anders als in Dresden fand sich zur MAGIDA-Demo nur
ein Häuflein von (nach Polizeiangaben) 200 Teilnehmern zusammen,
wohingegen es die Gegner wohl auf die Zahl von 6.000 gebracht haben
sollen. Darum geht es mir aber nicht. Entscheidend ist, was ich dort
sehen und hören konnte, und das war der Mob, der gleiche braune Mob,
der sich auch sonst im Januar in der Stadt versammelt, die gleichen
stadtbekannten extremen Rechten. Man hatte dabei keineswegs den
Eindruck, dass dieser Mob die MAGIDA geentert hätte, wie das ja bzgl. der Dresdener PEGIDA vielfach behauptet wurde. Nein, der Mob war
offensichtlich Initiator, Organisator und Rädelsführer des kleinen,
aber lautstarken Aufmarsches. Erschreckend war die aggressive
Stimmung, die der Mob mit seinen Parolen verbreitete. Und als er sich
dann in Bewegung setzte, natürlich innerhalb des Polizeikordons,
hatte man trotzdem die Befürchtung, er könnte unversehens zur
Meute1
werden.
Gut,
das war hier. Doch wenn auch nur ein Teil der Dresdener
„Spaziergänger“ in dieser Art und mit diesen Parolen auftritt,
und das ist wohl so, dann haben alle anderen PEGIDA-Teilnehmer jedes
Recht darauf verwirkt, lediglich als „besorgte Bürger“ angesehen
zu werden, deren "Ängste“ man ernst nehmen und mit denen ein "seriöser Dialog" geführt werden sollte. Denn es sind diese Parolen
und die darin verwendeten Begriffe, mit denen sich die PEGIDA in
Gänze in meinen Augen diskreditiert und die sie nicht
satisfaktionsfähig macht, was aber gleichwohl ihre Gefährlichkeit
ausmachen könnte, so lange sie sich als bürgerliche Antipolitikbewegung zu
gerieren vermag.
Was
mich bestürzt und auch irgendwie traurig macht, ist, dass 70 Jahre
nach dem Nationalsozialismus in den von PEGIDA verwendeten
Begrifflichkeiten eine typisch deutsche Geschichtsvergessenheit oder
auch nur Gedankenlosigkeit sich artikuliert, denn nicht nur
„Lügenpresse“ ist historisch kontaminiert, auch „Volksverräter“
oder „Überfremdung“, wie überhaupt dieses Wort vom Volk.
Für mich jedenfalls sind alle, die Silbe „volks“ beinhaltenden
Begriffe negativ besetzt. Gleiches gilt mit Abstrichen für die Silbe
„deutsch“ und das Wort „Nation“. All dies hat für mich
keinen positiven Inhalt, sondern verbindet sich fast ausschließlich mit
negativen Assoziationen, mit Deutschtümelei, mit Intoleranz und Fremdenfeindlichkeit, mit rechter Ideologie. Ich glaube,
wer sich solcher Begriffe und Parolen bedient, tut es entweder
bewusst oder ist eben der typisch deutschen Ignoranz und
Überheblichkeit verfallen, die uns in zwei verheerende Weltkriege
und in die Schuld an ethnischen und ideologischen Genoziden geführt
hat.
Was
ist das überhaupt das Volk? Ich kann damit nichts anfangen.
Im deutschen Sprachgebrauch klingt Volk nach Blut und Boden,
nach Ausschluss alles Fremden, was immer auch als solches angesehen
wird, ob Juden, Araber, Türken, Bulgaren, Rumänen, Zigeuner,
Homosexuelle oder Erbkranke. Aber selbst als ethnologischer Terminus
taugt das Volk schon längst nicht mehr zur Beschreibung sozialer
Tatsachen. Es wäre schön, wenn der Deutsche, in Sonderheit der
PEGIDA-Deutsche, sich endlich nicht mehr als Volksangehöriger
sondern schlicht und ergreifend als Bürger, als citoyen im
besten französisch-revolutionären Sinne begreifen würde.
Auch
der Begriff „Islamisierung“ weckt schlimme Assoziationen.
Bezeichnenderweise ist in unserem Sprachgebrauch das Wort
„Christianisierung“ sehr positiv besetzt. Damit verbinden wir so
tolle Sachen wie Kultur, Zivilisation, den Westen schlechthin,
ungeachtet der unzähligen Verbrechen, die im Namen der
Christianisierung großer Teile des Globus begangen wurden. Auf der
anderen Seite steht das Wort „Judaisierung“ oder schlimmer noch,
wie es im Dritten Reich gebraucht wurde, „Verjudung“, was i.Ü..
nicht eine aktive Missionierung durch jüdische Rabbiner meinte,
sondern die angebliche jüdische Unterwanderung deutscher Kultur und
deutscher Institutionen. Wollen wir da allen Ernstes von
Islamisierung sprechen?
Und
wenn wir schon dabei sind, der PEGIDA geht es doch überhaupt nicht
um den Islam. Schaut man sich den deutschen Protestbürger dieser
Tage genauer an, dann geht es ihm in Wahrheit nur darum, alles Fremde
und Irritierende, alles potenziell Bedrohliche, alles Risikobehaftete
und seinen Status Quo gefährdende von sich fern zu halten. Der Islam
dient ihm dabei lediglich als Simplifizierungsschablone zur kompakten
Artikulation seiner vermeintlichen Existenzängste. Der Islam ist so
nichts als die verbale Verkörperung allen Ungemachs, der uns
bedrohen könnte. Da kommt es gerade Recht, dass Terroristen sich
seit einigen Jahren auf den Islam berufen, wiewohl der auch in diesen
Fällen nur als argumentative Projektionsfläche dient. Angenommen,
Terroristen würden sich auf Buddha berufen, dann hätten die
PEGIDA-Leute (dann natürlich PEGBuDA), wie auch die Geheimdienste
und die Strafverfolgungsbehörden die Buddhisten auf dem Schirm, was
wiederum eine putzige Vorstellung wäre, denkt man nur an die vielen
buddhistisch angehauchten Sinnsucher in unserem Land. Damit will
ich nur sagen, dass man unterscheiden sollte zwischen Ursache und
Begründung. Der Grund einer Tat ist nicht unbedingt ihre Ursache,
man kann sich Gründe auch im Nachhinein zurecht legen, soweit man
dann dazu noch in der Lage ist. Man kennt das ja aus der eigenen
Biographie.
Die
Ängste, die der Dresdener Mitläufer den Medien zufolge zum Ausdruck
bringen will, sind jedoch keine intrinsischen, es sind geschürte
diffuse Ängste, die in der vermeintlichen Islamisierung bzw.
Überfremdung nur eine passende Zielprojektion gefunden haben, zumal
die Stichworte und Argumentationslinien, wie sich leicht
nachrecherchieren lässt, von den Großparteien, namentlich von CDU
und CSU selbst entwickelt wurden. PEGIDA ist vielmehr eine Folge der
schröder/fischerschen Hartz-Gesetzgebung, die gerade erst ihr
10-jähriges Jubiläum begangen hat. Die hat nachweislich zu einer
verbreiteten Entsolidarisierung in unserer Gesellschaft geführt und
Abstiegsängste gerade in der Ü50-Mittelschicht erzeugt. Das
entlastet diese Mitläufer keineswegs, wie es auch die Nazi-Mitläufer
und Heil-Schreier nicht entlastet hat, dass seinerzeit eine Weltwirtschaftskrise herrschte und es den Juden ja trotzdem soo gut ging,
denn schließlich sind sie, die Mitläufer, denkende Individuen, die
sich dessen, was sie tun und bei wem sie da mitlaufen, bewusst sein
sollten.
Was
mir zu denken gibt, und das schon seit längerem, ist, dass es der
Politik und der Wirtschaft immer wieder gelingt, die, die wenig
haben, gegen die aufzuhetzen, die noch weniger haben, und die, die
nichts haben, sogar gegen die, die nackt zu uns kommen. Und so was
beruft sich dann auf ein christliches Abendland. Wie dumm sind wir
eigentlich?
1Elias
Canetti. Masse und Macht. Fischer 2003