Mittwoch, 21. Januar 2015

Der Mob macht mobil

Nichts gegen Presse und Medien, doch manchmal ist der persönliche Augenschein aufklärender als alle Vorder- und Hintergrundberichterstattung.
So war ich denn am Montagabend in erster Linie aus purer Neugier Zeuge der MAGIDA-Demo vor dem Rathaus, aber auch Teilnehmer der parallelen Gegenkundgebung. Anders als in Dresden fand sich zur MAGIDA-Demo nur ein Häuflein von (nach Polizeiangaben) 200 Teilnehmern zusammen, wohingegen es die Gegner wohl auf die Zahl von 6.000 gebracht haben sollen. Darum geht es mir aber nicht. Entscheidend ist, was ich dort sehen und hören konnte, und das war der Mob, der gleiche braune Mob, der sich auch sonst im Januar in der Stadt versammelt, die gleichen stadtbekannten extremen Rechten. Man hatte dabei keineswegs den Eindruck, dass dieser Mob die MAGIDA geentert hätte, wie das ja bzgl. der Dresdener PEGIDA vielfach behauptet wurde. Nein, der Mob war offensichtlich Initiator, Organisator und Rädelsführer des kleinen, aber lautstarken Aufmarsches. Erschreckend war die aggressive Stimmung, die der Mob mit seinen Parolen verbreitete. Und als er sich dann in Bewegung setzte, natürlich innerhalb des Polizeikordons, hatte man trotzdem die Befürchtung, er könnte unversehens zur Meute1 werden.
Gut, das war hier. Doch wenn auch nur ein Teil der Dresdener „Spaziergänger“ in dieser Art und mit diesen Parolen auftritt, und das ist wohl so, dann haben alle anderen PEGIDA-Teilnehmer jedes Recht darauf verwirkt, lediglich als „besorgte Bürger“ angesehen zu werden, deren "Ängste“ man ernst nehmen und mit denen ein "seriöser Dialog" geführt werden sollte. Denn es sind diese Parolen und die darin verwendeten Begriffe, mit denen sich die PEGIDA in Gänze in meinen Augen diskreditiert und die sie nicht satisfaktionsfähig macht, was aber gleichwohl ihre Gefährlichkeit ausmachen könnte, so lange sie sich als bürgerliche Antipolitikbewegung zu gerieren vermag.
Was mich bestürzt und auch irgendwie traurig macht, ist, dass 70 Jahre nach dem Nationalsozialismus in den von PEGIDA verwendeten Begrifflichkeiten eine typisch deutsche Geschichtsvergessenheit oder auch nur Gedankenlosigkeit sich artikuliert, denn nicht nur „Lügenpresse“ ist historisch kontaminiert, auch „Volksverräter“ oder „Überfremdung“, wie überhaupt dieses Wort vom Volk. Für mich jedenfalls sind alle, die Silbe „volks“ beinhaltenden Begriffe negativ besetzt. Gleiches gilt mit Abstrichen für die Silbe „deutsch“ und das Wort „Nation“. All dies hat für mich keinen positiven Inhalt, sondern verbindet sich fast ausschließlich mit negativen Assoziationen, mit Deutschtümelei, mit Intoleranz und Fremdenfeindlichkeit, mit rechter Ideologie. Ich glaube, wer sich solcher Begriffe und Parolen bedient, tut es entweder bewusst oder ist eben der typisch deutschen Ignoranz und Überheblichkeit verfallen, die uns in zwei verheerende Weltkriege und in die Schuld an ethnischen und ideologischen Genoziden geführt hat.
Was ist das überhaupt das Volk? Ich kann damit nichts anfangen. Im deutschen Sprachgebrauch klingt Volk nach Blut und Boden, nach Ausschluss alles Fremden, was immer auch als solches angesehen wird, ob Juden, Araber, Türken, Bulgaren, Rumänen, Zigeuner, Homosexuelle oder Erbkranke. Aber selbst als ethnologischer Terminus taugt das Volk schon längst nicht mehr zur Beschreibung sozialer Tatsachen. Es wäre schön, wenn der Deutsche, in Sonderheit der PEGIDA-Deutsche, sich endlich nicht mehr als Volksangehöriger sondern schlicht und ergreifend als Bürger, als citoyen im besten französisch-revolutionären Sinne begreifen würde.
Auch der Begriff „Islamisierung“ weckt schlimme Assoziationen. Bezeichnenderweise ist in unserem Sprachgebrauch das Wort „Christianisierung“ sehr positiv besetzt. Damit verbinden wir so tolle Sachen wie Kultur, Zivilisation, den Westen schlechthin, ungeachtet der unzähligen Verbrechen, die im Namen der Christianisierung großer Teile des Globus begangen wurden. Auf der anderen Seite steht das Wort „Judaisierung“ oder schlimmer noch, wie es im Dritten Reich gebraucht wurde, „Verjudung“, was i.Ü.. nicht eine aktive Missionierung durch jüdische Rabbiner meinte, sondern die angebliche jüdische Unterwanderung deutscher Kultur und deutscher Institutionen. Wollen wir da allen Ernstes von Islamisierung sprechen?
Und wenn wir schon dabei sind, der PEGIDA geht es doch überhaupt nicht um den Islam. Schaut man sich den deutschen Protestbürger dieser Tage genauer an, dann geht es ihm in Wahrheit nur darum, alles Fremde und Irritierende, alles potenziell Bedrohliche, alles Risikobehaftete und seinen Status Quo gefährdende von sich fern zu halten. Der Islam dient ihm dabei lediglich als Simplifizierungsschablone zur kompakten Artikulation seiner vermeintlichen Existenzängste. Der Islam ist so nichts als die verbale Verkörperung allen Ungemachs, der uns bedrohen könnte. Da kommt es gerade Recht, dass Terroristen sich seit einigen Jahren auf den Islam berufen, wiewohl der auch in diesen Fällen nur als argumentative Projektionsfläche dient. Angenommen, Terroristen würden sich auf Buddha berufen, dann hätten die PEGIDA-Leute (dann natürlich PEGBuDA), wie auch die Geheimdienste und die Strafverfolgungsbehörden die Buddhisten auf dem Schirm, was wiederum eine putzige Vorstellung wäre, denkt man nur an die vielen buddhistisch angehauchten Sinnsucher in unserem Land. Damit will ich nur sagen, dass man unterscheiden sollte zwischen Ursache und Begründung. Der Grund einer Tat ist nicht unbedingt ihre Ursache, man kann sich Gründe auch im Nachhinein zurecht legen, soweit man dann dazu noch in der Lage ist. Man kennt das ja aus der eigenen Biographie.
Die Ängste, die der Dresdener Mitläufer den Medien zufolge zum Ausdruck bringen will, sind jedoch keine intrinsischen, es sind geschürte diffuse Ängste, die in der vermeintlichen Islamisierung bzw. Überfremdung nur eine passende Zielprojektion gefunden haben, zumal die Stichworte und Argumentationslinien, wie sich leicht nachrecherchieren lässt, von den Großparteien, namentlich von CDU und CSU selbst entwickelt wurden. PEGIDA ist vielmehr eine Folge der schröder/fischerschen Hartz-Gesetzgebung, die gerade erst ihr 10-jähriges Jubiläum begangen hat. Die hat nachweislich zu einer verbreiteten Entsolidarisierung in unserer Gesellschaft geführt und Abstiegsängste gerade in der Ü50-Mittelschicht erzeugt. Das entlastet diese Mitläufer keineswegs, wie es auch die Nazi-Mitläufer und Heil-Schreier nicht entlastet hat, dass seinerzeit eine Weltwirtschaftskrise herrschte und es den Juden ja trotzdem soo gut ging, denn schließlich sind sie, die Mitläufer, denkende Individuen, die sich dessen, was sie tun und bei wem sie da mitlaufen, bewusst sein sollten.
Was mir zu denken gibt, und das schon seit längerem, ist, dass es der Politik und der Wirtschaft immer wieder gelingt, die, die wenig haben, gegen die aufzuhetzen, die noch weniger haben, und die, die nichts haben, sogar gegen die, die nackt zu uns kommen. Und so was beruft sich dann auf ein christliches Abendland. Wie dumm sind wir eigentlich?
1Elias Canetti. Masse und Macht. Fischer 2003

Die kommende Gemeinschaft. Teil 4

Kommunitarismus: Die Ethik der Gemeinschaft Allein sein bedeutet, Mitglied einer großen Gemeinschaft zu sein, die gerade deshalb eine ist, ...