Anmerkungen
zu einem Kongress der Friedrich-Ebert-Stiftung
Digitalisierung
ist eines dieser, nur allzu häufig im
politischen Sprachgebrauch anzutreffenden Zauberworte, die an der
Oberfläche technischen, ökonomischen und auch gesellschaftlichen
Fortschritt suggerieren, von denen gleichwohl nicht wirklich
verständlich gemacht werden kann, was sie denn eigentlich bedeuten.
Im Kontext der Digitalisierung ist dann gern auch die Rede von der
Vierten Industriellen
Revolution, hierzulande als
Industrie 4.0
propagiert u.a. von der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften
und deren Vorsitzenden, dem ehemaligen SAP-Chef Henning Kagermann.
Mit
diesem schillernden Begriff der Digitalisierung in seiner
institutionalisierten Gestalt als Digitaler
Kapitalismus
befasste sich am 2. und 3. November ein Kongress der SPD-nahen
Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) in Berlin, an dem teilzunehmen ich die
Gelegenheit hatte. Die Veranstaltung stand unter dem Titel „Digitaler
Kapitalismus – Revolution oder Hype?“ Das zugehörige Programm
und ein Live-Blog findet man im Netz unter
http://www.fes.de/de/digitalcapitalism/.
Entgegen meiner Erwartung wurden weder Digitalisierung noch Digitaler
Kapitalismus als Begriffe substanziell thematisiert, statt dessen
gingen die Veranstalter wohl von einem generellen Verständnis der
Teilnehmer dessen aus, was darunter zu verstehen sei, und das war, so
mein Eindruck vom Kongress, vor allem die Plattformökonomie
der Big Four der Internetwirtschaft Google, Apple, Facebook und
Amazon sowie der disruptiven App-basierten Geschäftsmodelle von
Unternehmen wie AirBnB und Uber. Weitere technische Ausprägungen der
Digitalisierung, wie die erwähnte Industrie 4.0, Robotisierung,
Künstliche Intelligenz (KI), das Internet der Dinge (IoT) oder die
anlaufende, umfassende „Internetisierung“ der
Versorgungsinfrastrukturen (Smart Grid, Smart City) kamen hingegen
kaum zur Sprache. Das mag daran gelegen haben, dass der Fokus des
Kongresses eben nicht auf die technologischen Aspekte des digitalen
Kapitalismus gelegt wurde, sondern auf die ökonomischen und sozialen
Folgen der Digitalisierung und die Fragen nach den geeigneten
gesellschaftlichen Reaktionen darauf. Dementsprechend heißt es auch
im Programmheft:
„Die
Digitalisierung durchdringt immer mehr Bereiche unserer Wirtschaft.
- Aber erlebt der Kapitalismus wirklich eine Revolution?
- Oder bekommt er nur einen neuen Anstrich?
- Bedeutet der digitale Wandel Wohlstand und Teilhabe für alle oder Ungleichheit und soziale Verwerfungen?
- Was muss die Politik tun, um den digitalen Kapitalismus so zu gestalten, dass er sozialen Fortschritt bringt?“
So
setzte sich denn, den Wortmeldungen nach zu urteilen, die mehrere
hundert Personen umfassende Teilnehmerschaft vornehmlich aus
Vertretern von Parteien, Gewerkschaften und zivilgesellschaftlichen
Interessenverbänden sowie der sozial- und
wirtschaftswissenschaftlich orientierten akademischen Disziplinen
zusammen.
Bevor
ich indes auf die einzelnen Themen des Kongresses eingehen werde,
wobei ich mich naturgemäß auf die Fokus-Sessions und die zwei Foren
beschränken muss, die ich selbst besucht habe, möchte ich zunächst
Gedanken zu den Begrifflichkeiten Digitalisierung und Digitaler
Kapitalismus anbringen. Was aktuell Digitalisierung genannt wird,
lässt sich m.E. als Phase eines bereits mehrere Jahrzehnte
andauernden Prozesses des sukzessiven Eindringens
informationsverarbeitender Techniken in Produktions-, Distributions-
und Kommunikationssysteme verstehen. Für mich, der seit mehr als 30
Jahren aktiver Teil dieses Prozesses ist, ist daran zunächst wenig
Revolutionäres zu erkennen. Das Charakteristische der gegenwärtigen
Phase besteht jedoch u.a. darin, dass, anders als in den vorangegangenen
Phasen, die Globalisierung zu einer weltweiten Gleichzeitigkeit der
Entwicklung und Nutzung der Digitaltechnologien geführt hat. Die
technischen Voraussetzungen dafür sind das Internet und der
Mobilfunk, die politisch-ökonomischen Voraussetzungen sind der
Zusammenbruch der Sowjetunion und die darauf folgende Ausbreitung des
neoliberalen Kapitalismus bis in die letzten Winkel des Planeten.
Weiterhin charakteristisch, wirklich neu und möglicherweise auch revolutionär am digitalen Kapitalismus sind die darauf aufbauenden
Geschäftsmodelle der Plattformökonomie mit der ihnen immanenten
Tendenz zur Monopolbildung. Als tiefer liegende ökonomische Ursache
der Digitalisierung identifiziert der Soziologe Philipp Staab das von
ihm so genannte „Konsumtionsproblem“. In seiner 2016 erschienen
kritischen Studie „Falsche Versprechen. Wachstum im digitalen
Kapitalismus“ argumentiert Staab,
„dass
der digitale Kapitalismus
eine verhältnismäßig neue Antwort auf ein Problem darstellt, das
den Kapitalismus seit dem Ende des Nachkriegsaufschwungs in der Mitte
des 20.
Jahrhunderts prägt: Die Schwäche der Nachfrage, die mit den
Produktivitätsfortschritten nicht standhalten kann. Die rückblickend
recht kurze Phase der Nachkriegsprosperität … war gekennzeichnet
durch die erfolgreiche Kombination von Massenproduktion und
Massenkonsum. Dieses Doppelgespann wirtschaftlicher Dynamik,
allgemein als Fordismus bezeichnet, geriet allerdings schon Ende der
1960er
Jahre zunehmend aus dem Tritt, weil die Nachfrage nicht mehr mit der
Entwicklung der Produktivität Schritt halten konnte. Das
vorherrschende Produktionsmodell erzeugte … nicht mehr aus sich
heraus jene Nachfrage, die zur Aufrechterhaltung der wirtschaftlichen
Wachstumsraten der unmittelbaren Nachkriegszeit vonnöten gewesen
wäre.“1
Aus
sozialökonomischer und demokratietheoretischer Sicht besteht die vom
digitalen Kapitalismus ausgehende Gefährdung offensichtlich in
eben jener Plattformökonomie, die aufgrund ihrer Tendenz zur
globalen Monopolbildung die Beschäftigten, die Konsumenten wie auch
die Produzenten in extreme Abhängigkeitsverhältnisse zwingen kann
und wird. Aufgrund fehlender oder mangelhafter internationaler
Regulierungen des Internet können Plattformunternehmen weitgehend
unbehelligt Geschäftsgebaren an den Tag legen, die eher an
Organisierte Kriminalität als an den Ehrbaren Kaufmann von einst
erinnern. Gemeint sind damit nicht nur Steuervermeidung,
-hinterziehung und Geldwäsche (Bitcoin), sondern auch Verträge mit
Ausschließlichkeitsklauseln, die an Schutzgelderpressung denken
lassen (etwa bei Lieferdiensten), systematische Datenhehlerei,
Urheberrechtsverletzungen u.d.g.m., zu schweigen von den
Arbeitsbedingungen prekärer Beschäftigter oder freier Mitarbeiter
(Uber, Mechanical
Turk von
Amazon). War es 1984 noch möglich, den monopolistischen
Telefonriesen AT&T in einem US-Kartellverfahren zu zerschlagen,
so scheiterte dies 15 Jahre später bei Microsoft.
Unter den heutigen Bedingungen scheint es nahezu undenkbar, dass
Kartellbehörden sich ernsthaft mit Apple, Facebook oder Amazon
befassen, auch wenn so etwas gelegentlich kolportiert
wird; statt
dessen lässt man es zu, dass die Plattformunternehmen mit ihrer
enormen finanziellen Macht weitere Geschäftszweige hinzu kaufen und
damit ihre Monopole weiter ausbauen. Damit geht von diesen
Monopolisten eine Gefahr nicht nur für uns Beschäftigte
oder Verbraucher aus, vielmehr wird das gesamte kapitalistische
Wirtschaftsmodell in Gänze disruptiv unter Beschuss genommen, was
bei einigen Akteuren und Analytikern die Erwartung weckt, dass so das
„Ende des Kapitalismus, wie wir ihn kennen“ (Elmar Altvater)
eingeläutet, mithin der Übergang zum Postkapitalismus eingeleitet
werden könnte.
Einige
der genannten Aspekte wurden auf dem Kongress der FES von den
eingeladenen Keynote-Speakern Frank
Pasquale (USA,
Rechtswissenschaftler), Evgeny
Morozov (USA,
Aktivist) und Paul
Mason (UK,
Journalist) thematisiert. An den Vorträgen und Diskussionen in den
thematischen Foren zeigte sich allerdings, dass der hiesige Diskurs
längst noch nicht auf der Höhe der bereits geschaffenen Tatsachen
ist. So reduziert sich die Problematik für die noch amtierende
Bundesministerin Andrea Nahles auf Datenschutz und Mindestlohn, und Joachim Bühler, bis vor kurzem noch Bitkom-Geschäftsführer, insistierte bspw. immer wieder auf „Software, Software,
Software!“, ohne dass man den Eindruck gewinnen konnte, er verstehe,
wovon er spricht, oder erkenne gar den systemischen Zusammenhang
zwischen Software und Geschäftsmodell.
Auf
Anraten meiner Lebenspartnerin besuchte ich das Forum zum Bedingungslosen Grundeinkommen (BGE), das
sich indes als wenig ergiebig herausstellte. Ronald Blaschke (Die Linke)
vom Netzwerk Grundeinkommen, Benjamin Mikfeld (SPD) und Silke
Bothfeld (Hochschule Bremen) tauschten lediglich die einschlägig
bekannten Argumente pro und contra BGE aus, so dass hier eher eine
Auseinandersetzung zwischen
Linker und SPD zu beobachten war, als beider mit
den realen Herausforderungen des digitalen Kapitalismus, die m.E. in
nicht allzu ferner Zukunft die Notwendigkeit
eines BGE
begründen werden. Keinem der Disputanten kam in den Sinn, dass die
Ausweitung der digitalkapitalistischen Beschäftigungsverhältnisse
den Staat zu einer BGE-ähnlichen Leistung zwingen wird, weil
andernfalls die betreffenden Unternehmen schlicht das Geschäft
einstellen oder abwandern werden. Bei der Abwägung zwischen
Sozialpolitik und Standortpolitik hat auch hierzulande stets noch die
Standortpolitik den Vorrang. Ich jedenfalls glaube, dass es zu einem
branchenbezogenen BGE kommen wird, ähnlich dem branchenbezogenen
Mindestlohn, weil ansonsten bestimmte benötigte Leistungen von den
Plattformunternehmen nicht mehr erbracht werden würden. Die
Diskussion um das solidarische
Grundeinkommen,
die Berlins Bürgermeister Michael Müller kürzlich angestoßen hat,
kann man wohl als ein Indiz dafür ansehen.
Hochinteressant war
das Forum „Marx Reloaded“, in dem aus Anlass des 150 Jahrestags
des Erscheinens des ersten Bandes von Karl Marx´ „Das Kapital“
nach der Aktualität und der Geltung der marxschen Analysen für den
Digitalen Kapitalismus gefragt wurde. Die vom Politökonomen Michael
Krätke präsentierten
Einschätzungen bestätigen im Wesentlichen die Kernaussagen des
„Kapitals“.
Michael Krätke im Forum "Marx Reloaded" |
Andererseits
erwies sich die Diskussion um das „Maschinenfragment“ und seine
Bedeutung für die Beurteilung der Idee, ob sich die
kapitalistische Produktionsweise mittels umfassender (digitaler)
Automatisierung dereinst selbst abschaffen könnte, als gute
Überleitung zum Abschlusspanel mit Paul Mason und seinen Thesen zum
Postkapitalismus resp. zur Rolle der Sozialdemokratie.
Im besten Fall war der
Kongress „Digitaler Kapitalismus“ der Beginn eines notwendigen breiten Diskurses innerhalb
des linken politischen Spektrums über den Umgang mit den Segnungen
der Digitalisierung (bspw. hier). Nach meinem Eindruck steckt man dabei noch tief in der
analytischen Phase, und die Befürchtungen gerade auch von
gewerkschaftlicher und zivilgesellschaftlicher Seite überwiegen.
Eine schlüssige politische Strategie ist noch nicht erkennbar, sind
doch die maßgeblichen Akteure, die linken Parteien und die
Gewerkschaften, noch stark dem traditionellen Erwerbsarbeitsmodell
verpflichtet. Der Versuch, dem digitalen Kapitalismus dieses
aufzuzwingen, wird nach meiner Meinung keinen Erfolg haben. Ebenso wenig werden
die Forderungen nach stärkeren Regulierungen der Digitalwirtschaft
Wirkung zeigen, es sei denn, man würde sich zu wirklich radikalen
Maßnahmen (Verstaatlichung, Zerschlagung etc.) durchringen, womit
dann allerdings der seit den 1980er Jahren verfolgte
wirtschaftsliberale Politikkurs aufgegeben werden müsste, was angesichts der laufenden Jamaika-Verhandlungen höchst unwahrscheinlich ist.
1
Philipp
Staab. Falsche
Versprechen. Wachstum
im digitalen Kapitalismus. Hamburg 2016,
S. 12f
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen