Montag, 28. Januar 2013

Was erlauben Merkel?


Zum wiederholten Mal haben internationale Finanzkoryphäen den Sparkurs der deutschen Bun­desregierung kritisiert. Im Vorfeld und während des gerade abgehaltenen, Weltwirt­schaftsgipfel genannten Tref­fens der Willi und Waltraud Wichtigs dieses Planeten in Davos waren es einmal mehr IWF, Weltbank und OECD, die, wie Michael Krätke im Freitag kom­mentierte, Kanzlerin Merkel dazu rieten, sich von der Austeritätspolitik der vergange­nen Jahre zu verabschieden.
Ich bin weder Finanz- noch Volkswirtschaftler und habe keinen blassen Schimmer, welche Politik die richtige oder zumindest richtigere sein könnte. Allerdings frage ich mich seit längerem, was die Kanzlerin eigentlich erreichen will. Augenscheinlich ist ihren Äußerun­gen und Handlungen keine wirkliche Langzeitstrategie in Bezug auf die Finanz- und Schul­denkrise zu entnehmen; sie selbst sprach ja vom Fahren auf Sicht. Und da sie ebenso we­der Finanz- noch Volkswirtschaftlerin ist, steht zu vermuten, dass auch sie im Grunde ge­nommen kei­nen blassen Schimmer hat. Was ich mir aber nicht vorstellen kann, ist, dass Frau Merkel keine Strategie hat, dass sie nur auf simplen Hausfrauenprinzipien herumrei­tet und dabei von Gipfel zu Gipfel torkelt, wie es manches Mal den Anschein haben könnte. Sie ist ganz ge­wiss nicht so unbedarft, wie sie zuweilen daher redet. Wie auch andere Beob­achter vermute ich vielmehr, dass sie sehr wohl über eine Strategie verfügt, der aber eben keine fi­nanz- oder volkswirtschaftlichen Überlegungen zu Grunde liegen, sondern das rationale Kalkül der ma­thematisch und logisch geschulten Naturwissenschaftlerin. Und das ist wo­möglich recht einfach.
Rekapitulieren wir erst ein mal kurz den Stand der Dinge, wie ich ihn verstanden zu haben glaube. (Sollte ich dabei zu viel Banales von mir geben, möge man mir bitte verzeihen.) Die 2008 ausgebrochene Finanzkrise hatte zur Ursache den teilweisen Zusammen­bruch des Spekulationscasinos in den USA, Europa und Japan, das wiederum nur entstehen konnte, weil die Politik seit den 1970er Jahren die regulativen Mechanismen der Steuer- und Fi­nanzpolitik sukzessive gelockert hatte. Diese Lockerung sollte ursprünglich sicher die Ka­pitalflüsse zwischen Finanz- und Realwirtschaft erleichtern, um so letzterer risiko­reiche Investitionen in innovative und beschäftigungswirksame Wirtschaftszweige zu erleich­tern. Das gelang auch eine Zeit lang bis zum Platzen der New-Economy-Blase eingangs des 21. Jahrhunderts. Daraufhin wurden staatlicherseits die Regularien weiter gelockert, was al­lerdings nicht die gewünschten Folgen hatte, sondern statt dessen dazu führte, dass das in­folge der umfangreichen Produktionsverlagerungen in Schwellen- und Entwicklungslän­der schnell akkumulierte und nun frei flottierende Kapital sein Heil in der Spe­kulation suchte.
An dieser Stelle lohnt sich ein kurzer Exkurs zu Merkels Kritikern in IWF und Weltbank. Gerade IWF und Weltbank waren in den 1980er und 90er Jahren die Protagonisten der Kapitalanlage in jenen Schwellen- und Entwicklungsländern. Sie initiierten und förderten große, kreditfinanzierte Entwicklungsprojekte, koppelten die Kreditvergabe an sozialpolitis­che Auflagen und trieben einige dieser Länder in den finanziellen Ruin. Erin­nert sei an Argentinien, dass sich aus der Schuldenfalle nur durch die Staatsbankrotterklä­rung über Nacht und den vollständigen Haircut hatte befreien können. Wer sich diese unrühmliche Geschichte noch einmal vergegenwärtigen möchte, sollte sich den Dokumen­tarfilm „Let´s make money“ ansehen.
Doch zurück zur Spekulation. Nach dem New-Economy-Crash wurde nun am Immobilien­markt spekuliert, der in den USA oder in Spanien staatlicherseits auch noch steuerlich ge­fördert wurde, ebenso am Rohstoffmarkt, wo dem wiederum staatliche Maßnahmen zur Förderung der erneuerbaren Energiegewinnung (Biosprit) entgegen kamen, sowie am Fi­nanzmarkt selbst. Am Finanzmarkt wurde natürlich schon länger spekuliert, z.B. auf Wechselkursschwankungen mit z.T. desaströsen Auswirkungen. Mit der Euroeinführung 2002 eröffne­te sich eine neue große Spielwiese – die Staatsverschuldung. In der Eurozo­ne konnte es nun logischerweise keine Wechselkursschwankungen mehr geben, und die Staaten selbst konnten auch nicht mehr mit Ab- oder Aufwertungen ihrer Währungen auf ökonomische oder soziale Entwicklungen reagieren, denn dank deutscher Definitionsho­heit sollte es oberste Aufgabe der neuen Europäischen Zentralbank werden, den Geldwert stabil zu hal­ten, also einerseits die Inflationsrate auf ein, seitens der Politik (sic!) vorgege­benes Maß zu be­schränken (german angst!) und andererseits für einen stabilen Wechsel­kurs zum Dol­lar zu sorgen. Währungsspekulationen gegen den Euro sind wegen der schie­ren Größe des Euroraums kaum möglich. Aber, in Abwandlung eines Satzes aus Jurassic Park, könnte man sa­gen: Das Geld findet immer einen Weg.
Gleiche Währung bedeutet keineswegs gleiche ökonomische Entwicklung, wie wir Ostdeutschen nur zu gut wissen. Die Unterschiede in der ökonomischen Entwicklung der einzelnen Euroländer wirken sich aus in unterschiedlichen Zinsniveaus beim staatlichen Schuldenmachen am privaten Kapitalmarkt. Die Ratingagenturen bewerten die Kreditwür­digkeit eines Staates anhand seiner wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und de­ren Ent­wicklungsperspektiven. Das jeweilige Rating bestimmt dann das Zinsniveau. Sowohl der Me­chanismus der staatlichen Kreditaufnahme am privaten Kapitalmarkt als auch die Rolle der Ratingagenturen bei der Bewertung der Kreditwürdigkeit wurden bei der Euroeinfüh­rung genau so festgelegt. Dies sollte wohl der Disziplinierung von Eurostaaten mit lascher Fiskalpolitik dienen. Statt dessen sind die Zinssätze für die Staatsverschuldung samt den daraus abgeleiteten Derivaten (z.B. Kreditausfall­versicherungen) zum weltweiten Spekulati­onsobjekt geworden. Die Folgen sind bekannt.
Ich glaube, dass es das Ziel von Frau Merkel ist, die absolute Unabhängigkeit der Eurozo­ne von den bösen Finanzmärkten zu erreichen. Dazu müsste die Gesamtverschuldung der Staaten nahezu komplett abgebaut werden. Erster Schritt in diese Richtung ist, die Neu­verschuldung auf Null zu fahren, was in der Bundesrepublik seit einigen Jahren mehr oder weniger erfolgreich versucht wird. Voraussetzung dafür ist offensichtlich, dass die Steuer­einnahmen des Staates schneller wachsen als seine Ausgaben oder, bei stagnierender bzw. schrumpfender Wirtschaft, die Staatsausgaben entsprechend sinken. Das erste Modell wird seit einigen Jahren bei uns praktiziert, das zweite aktuell in Griechenland, Spanien und Italien. Das Kalkül ist ganz einfach: Wenn wir diese Banken, Hedgefonds und sonsti­gen Finanzhaie offenbar nicht gebändigt bekommen, jedenfalls weltweit nicht, ohne unser System signifikant anzutasten, dann sollen sie doch verhungern in ihrem Casino. Oder sollen sie doch weiter spielen, aber ohne unser Geld.
Wie jeder Mensch, trägt auch jeder Politiker sein spezielles persönliches oder auch Genera­tionentrauma mit sich herum, das sich in seiner Politik niederschlägt. Bei Helmut Kohl war es die politische Unzulänglichkeit sowohl persönlich als auch auch bezogen auf ganz Deutschland. Deshalb vielleicht hat ihn Mitterand damals beim Euro so schön in die Pfan­ne hauen können. Bei Gerhard Schröder war es die soziale Unzulänglichkeit, die ihn dazu trieb, sich als Politmacho und Haudrauf zu gerieren. Bei Angela Merkel ist es wo­möglich die ökonomische Unzulänglichkeit, die den traumatischen Untergrund der politi­schen Ent­scheidungen dieser Ostfrau meiner Generation bildet.
Bei einem nationalen Schuldenstand von 1,9 Billionen Euro scheint das Ziel des komplet­ten Schuldenabbaus selbst lang­fristig außerhalb jeglicher Reichweite, jedenfalls nicht, wenn man das erste Abbauszenario zu Grunde legt, das der höheren Steuereinnahmen. Das weiß auch Merkel, deshalb drängt sie aufs Sparen und Kürzen, egal ob in Griechenland oder hier daheim. Darin jetzt nur die persönliche Passion einer asketisch erzogenen ostelbischen Pfarrerstochter zu sehen, wäre sicher zu klischeebehaftet. Ich traue ihr durchaus zu, verstanden zu haben, dass wir dabei sind, die Grenzen des Wachstums zu erreichen und somit um Rückbau nicht herum kommen werden. Da Geld praktisch nichts wert ist, wäre es sicher ein Leichtes, gemeinsam mit Mario Draghi die Eurozone mit Geld zu zu scheißen, wie einst Hafferloher; nur würde uns das nicht retten. Uns Lebende vielleicht schon, nicht aber Europa und nicht das System.
Mir scheint, Angela Merkel möchte in die Geschichte eingehen - nicht als Retterin des Eu­ros oder Retterin Europas, sondern als Retterin des Systems durch Rückbau, als die Politi­kerin die den Turnaround eingeleitet hat. Denn, machen wir uns nichts vor, Deutschland ist kein Vorbild für Griechenland, umgekehrt soll ein Schuh draus werden. Und während Obama in den USA immer noch oder schon wieder auf Wachstum und Expansion setzt, kalkuliert Merkel ganz rational, dass es tendenziell bergab geht, ja bergab gehen muss, weshalb ihr Verzicht als einzig praktikable Alternative erscheint. Nur zur Klarstellung: Es geht dabei um Wohlstandsverzicht und kei­neswegs um Verzicht auf Wirtschaftswachstum, von dem wir, wie Schröders Agendapolitik (und deren Fortsetzung unter Merkel) gezeigt hat, eh nichts hätten.
Die Gefahr besteht m.E. darin, dass recht eigentlich nichts zu retten ist, und Frau Merkel hier eher in eine kryptostalinistische Attitüde verfällt: Wenn die Theorie nicht zu den Fakten passt, muss man eben die Fakten ändern.

1 Kommentar:

  1. "Im Grunde ist Politik nichts anderes als der Kampf zwischen den Zinsbeziehern, den Nutznießern des Geld- und Bodenmonopols, einerseits und den Werktätigen, die den Zins bezahlen müssen, andererseits."

    Otto Valentin ("Warum alle bisherige Politik versagen musste", 1949)

    Im Jahr 2012 muss die Politik noch immer versagen, weil kaum jemand den Zins versteht. Dass Politiker den Zins am allerwenigsten verstehen, ergibt sich aus dem Umkehrschluss: Sobald der Zins allgemein verstanden ist, wird die Politik überflüssig! Das heißt nicht, dass die Menschen überflüssig werden, sondern nur jene tatsächlich sinnfreien Tätigkeiten, die etwas "regeln" sollen, was nicht geregelt werden kann, solange es sich durch das vom Kapitalismus befreite Spiel der Marktkräfte nicht selbst regelt. Doch so weit zu denken, fällt den Politikern noch schwer, also erklären wir erst einmal den Zins:

    Der Zins – Mythos und Wahrheit

    Das einzig Sinnvolle, was Politiker tun können, ist, sich selbst überflüssig zu machen! Aber auch dafür sind sie zu dumm, denn es fehlt ihnen jegliche Kompetenz, die Marktwirtschaft vom parasitären Gegenprinzip des Privatkapitalismus zu befreien und damit eine echte Soziale Marktwirtschaft zu verwirklichen, ohne dabei eine Katastrophe in der Katastrophe auszulösen:

    Staatsverschuldung – kurz gefasst

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