Die akademische Philosophie steckt offenbar in einer Krise.
Es ist eine Legitimationskrise, der nicht unähnlich, die den
institutionalisierten christlichen Glaubensgemeinschaften seit Jahren zu
schaffen macht. Es geht dabei um den Verlust an Deutungsmacht und
Deutungshoheit, an Wahrheitsanspruch
und realitätstauglicher Sinngebung bzw. schlicht um den
Verlust an Bedeutung für und Ansehen in der breiten Öffentlichkeit. Diese
Diagnose mag bestreiten, wer auf die als philosophisch
deklarierte Ratgeber- und Erzählliteratur (Precht, Schmid) verweist oder
sich auf die lauten Großdenker (Sloterdijk, Žižek) beruft. Mir
allerdings scheint, dass das gehäufte Auftauchen von Erklärungs- und
Rechtfertigungsliteratur in einer Wissenschaftsdisziplin ein untrügliches
Zeichen dafür ist, dass ihre Vertreter einen öffentlichen Bedeutungsverlust
befürchten bzw. bereits wahrnehmen. Man muss dem Volk erklären, was man tut in
seinem (angeblichen) Elfenbeinturm und wozu das gut sein soll. Hier ist nicht
der Platz über die Ursachen und Gründe des Bedeutungsverlusts zu räsonieren.
Bei den Geisteswissenschaften, zu denen die Philosophie wohl gehört, könnte man
u.a. auf den Bologna-Effekt verweisen, sicher aber ist es eine Gemengelage aus
vielen politischen, sozialen und auch innerwissenschaftlichen Faktoren.
Zum Genre der Erklärungs- und Rechtfertigungsliteratur
gehört in jedem Fall das hier zu besprechende Buch „Was Philosophen wissen und
was man von ihnen lernen kann“ des emeritierten Professors der Philosophie an
der Berliner Humboldt-Universität Herbert Schnädelbach. Für ein breiteres
Publikum hatte sich Schnädelbach vor allem als veritabler Religionskritiker
hervorgetan, als er 2000 mit seinem Beitrag „Der Fluch des Christentums“ in der
Wochenzeitung Die Zeit zum Auslöser
einer öffentlichen Debatte wurde, die er später
mit dem 2009 erschienenen Buch „Religion in der modernen Welt“, voll im
Trend (Dawkins & Co.) liegend, weiter beförderte.
Herbert Schnädelbach ist wohl ein Philosoph, der sein Fachgebiet mit heiligem Ernst beackert. Sein Porträtfoto auf dem Schutzumschlag von „Was
Philosophen wissen…“ zeigt uns einen Mann, mit dem man - ganz ehrlich - nicht wirklich
streiten möchte.
(c) C.H. Beck
Und so geht es dem Autor in „Was Philosophen wissen...“ darum, der geneigten Leserschaft zu erläutern, dass, anders als noch Kant im „Streit der Fakultäten“ meinte, es zwar viele Philosophen und damit auch viele Philosophien, es aber doch einen knappen Kanon von allgemein akzeptierten und mithin für wahr erachteten grundlegenden philosophischen Tatsachen gäbe, auf den sich alle Philosophen dieser Welt, ungeachtet ihrer sonstigen Differenzen, einigen könnten. Wo Thomas Nagel in seinen ähnlich angelegten Betrachtungen „Was bedeutet das alles?“ sich in angelsächsischem Understatement darauf beschränkt, die Probleme zu skizzieren, verschiedene Meinungen zu referieren, um jedes Mal zu dem erfahrungsgemäß sicher sinnvollen Schluss zu kommen, dass es noch viel zu denken gäbe, scheint Schnädelbach, dem Leser gesichertes philosophisches Wissen, um nicht zu sagen philosophische Gewissheit vermitteln zu können.
(c) C.H. Beck
Und so geht es dem Autor in „Was Philosophen wissen...“ darum, der geneigten Leserschaft zu erläutern, dass, anders als noch Kant im „Streit der Fakultäten“ meinte, es zwar viele Philosophen und damit auch viele Philosophien, es aber doch einen knappen Kanon von allgemein akzeptierten und mithin für wahr erachteten grundlegenden philosophischen Tatsachen gäbe, auf den sich alle Philosophen dieser Welt, ungeachtet ihrer sonstigen Differenzen, einigen könnten. Wo Thomas Nagel in seinen ähnlich angelegten Betrachtungen „Was bedeutet das alles?“ sich in angelsächsischem Understatement darauf beschränkt, die Probleme zu skizzieren, verschiedene Meinungen zu referieren, um jedes Mal zu dem erfahrungsgemäß sicher sinnvollen Schluss zu kommen, dass es noch viel zu denken gäbe, scheint Schnädelbach, dem Leser gesichertes philosophisches Wissen, um nicht zu sagen philosophische Gewissheit vermitteln zu können.
Dem Autor ist die eingangs erwähnte Rechtfertigungsproblematik
der akademischen Philosophie sehr wohl bewusst, und er benennt auch Gründe, wenn er
in seiner Einleitung (S.9f) schreibt: „Dass das öffentliche philosophische
Interesse und das Interesse an der Philosophie als Fachwissenschaft so weit auseinandergetreten
sind, ist darauf zurückzuführen, dass wir in einer wissenschaftlich-technischen
Welt leben, in der nur das Gehör findet, was solchen Standards auch genügt. Je
stärker die Philosophie bemüht ist, dem zu entsprechen, umso mehr scheint sie dieses
öffentliche Gehör gerade zu verlieren – aus Gründen der Verständlichkeit…“ Was in
diesen Worten mitschwingt, ist wohl nicht nur ein leichter Hauch von Wehmut und Nostalgie.
In den folgenden 14 Kapiteln referiert und analysiert Herbert Schnädelbach ausgewählte
Problemstellungen der theoretischen Philosophie, wie Sinn und Bedeutung,
Subjekt – Objekt, Werte und Normen. In den einzelnen Kapiteln werden zunächst Problembestimmungen
und Problemdeutungen vorgenommen, die z.T. auch sprachanalytische Erläuterungen
umfassen. Es folgen philosophiehistorische Betrachtungen der Problem- und Erkenntnisevolution,
bei denen meist Aristoteles, Hume, Kant und Wittgenstein als stützende
Referenzen herhalten. Je nach Betrachtungsgegenstand wird das Kapitel mit einer
Diskussion des aktuellen Erkenntnisstandes abgeschlossen, wobei der Autor
angibt, was davon gesichertes Wissen ist und dies mit den Worten: „Philosophen können
wissen, dass…“ ausdrückt. Schnädelbach ist sich also seiner Sache doch nicht so
sicher, wie im Buchtitel behauptet, und das ist gut so. Denn „unser Wissen ist
fehlbar“, wie er selbst in der Einleitung (S.14) betont.
Die Präsentation des Materials und der Darlegungsstil lassen
den erfahrenen Hochschullehrer erkennen, wirken mit der immer gleichen
Kapitelstruktur aber auf die Dauer etwas ermüdend. Auch wenn Schnädelbach
versucht, seiner Darstellung einen propädeutischen Charakter zu verleihen und
verständlich zu argumentieren, dem philosophischen Einsteiger ist das Buch
nicht unbedingt zu empfehlen. Zu komplex sind die Sachverhalte, zu mäandernd
die Argumentationslinien. Auch ist es keineswegs geeignet, der eingangs
erwähnten Legitimationskrise der akademischen Philosophie abzuhelfen. Während
der Lektüre hat sich bei mir hingegen der Eindruck verfestigt, dass in der deutschen
akademischen und theoretischen Philosophie Kant immer noch (oder schon wieder?)
das Maß aller Dinge ist. Ob dieser Eindruck hinreichend zu begründen ist, kann
ich wegen mangelnder Sachkenntnis nicht beurteilen. Empfehlenswert ist „Was Philosophen
wissen…“ für den interessierten und kundigen Leser allemal und trotzdem. Er sollte allerdings
bereit sein, Zeit, Geduld und Aufmerksamkeit zu investieren.
Abschließend sei erwähnt, dass Herbert Schnädelbach für sein Buch den diesjährigen Essay-Preis "Tractatus" des Philosophicum Lech erhalten hat.
Abschließend sei erwähnt, dass Herbert Schnädelbach für sein Buch den diesjährigen Essay-Preis "Tractatus" des Philosophicum Lech erhalten hat.
Herbert Schnädelbach, Was Philosophen wissen und was man von
ihnen lernen kann. C.H. Beck, 2012
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen