Donnerstag, 1. November 2012

Was Philosophen wissen und was man von ihnen lernen kann von Herbert Schnädelbach


Die akademische Philosophie steckt offenbar in einer Krise. Es ist eine Legitimationskrise, der nicht unähnlich, die den institutionalisierten christlichen Glaubensgemeinschaften seit Jahren zu schaffen macht. Es geht dabei um den Verlust an Deutungsmacht und Deutungshoheit, an Wahrheitsanspruch und realitätstauglicher Sinngebung bzw. schlicht um den Verlust an Bedeutung für und Ansehen in der breiten Öffentlichkeit. Diese Diagnose mag bestreiten, wer auf die als philosophisch deklarierte Ratgeber- und Erzählliteratur (Precht, Schmid) verweist oder sich auf die lauten Großdenker (Sloterdijk, Žižek) beruft. Mir allerdings scheint, dass das gehäufte Auftauchen von Erklärungs- und Rechtfertigungsliteratur in einer Wissenschaftsdisziplin ein untrügliches Zeichen dafür ist, dass ihre Vertreter einen öffentlichen Bedeutungsverlust befürchten bzw. bereits wahrnehmen. Man muss dem Volk erklären, was man tut in seinem (angeblichen) Elfenbeinturm und wozu das gut sein soll. Hier ist nicht der Platz über die Ursachen und Gründe des Bedeutungsverlusts zu räsonieren. Bei den Geisteswissenschaften, zu denen die Philosophie wohl gehört, könnte man u.a. auf den Bologna-Effekt verweisen, sicher aber ist es eine Gemengelage aus vielen politischen, sozialen und auch innerwissenschaftlichen Faktoren.
Zum Genre der Erklärungs- und Rechtfertigungsliteratur gehört in jedem Fall das hier zu besprechende Buch „Was Philosophen wissen und was man von ihnen lernen kann“ des emeritierten Professors der Philosophie an der Berliner Humboldt-Universität Herbert Schnädelbach. Für ein breiteres Publikum hatte sich Schnädelbach vor allem als veritabler Religionskritiker hervorgetan, als er 2000 mit seinem Beitrag „Der Fluch des Christentums“ in der Wochenzeitung Die Zeit zum Auslöser einer öffentlichen Debatte wurde, die er später  mit dem 2009 erschienenen Buch „Religion in der modernen Welt“, voll im Trend (Dawkins & Co.) liegend, weiter beförderte.
Herbert Schnädelbach ist wohl ein Philosoph, der sein Fachgebiet mit heiligem Ernst beackert. Sein Porträtfoto auf dem Schutzumschlag von „Was Philosophen wissen…“ zeigt uns einen Mann, mit dem man - ganz ehrlich - nicht wirklich streiten möchte. 

Herbert Schnädelbach
(c) C.H. Beck

Und so geht es dem Autor in „Was Philosophen wissen...“ darum, der geneigten Leserschaft zu erläutern, dass, anders als noch Kant im „Streit der Fakultäten“ meinte, es zwar viele Philosophen und damit auch viele Philosophien, es aber doch einen knappen Kanon von allgemein akzeptierten und mithin für wahr erachteten grundlegenden philosophischen Tatsachen gäbe, auf den sich alle Philosophen dieser Welt, ungeachtet ihrer sonstigen Differenzen, einigen könnten.  Wo Thomas Nagel in seinen ähnlich angelegten Betrachtungen „Was bedeutet das alles?“ sich in angelsächsischem Understatement darauf beschränkt, die Probleme zu skizzieren, verschiedene Meinungen zu referieren, um jedes Mal zu dem erfahrungsgemäß sicher sinnvollen Schluss zu kommen, dass es noch viel zu denken gäbe, scheint Schnädelbach, dem Leser gesichertes philosophisches Wissen, um nicht zu sagen philosophische Gewissheit vermitteln zu können.
Dem Autor ist die eingangs erwähnte Rechtfertigungsproblematik der akademischen Philosophie sehr wohl bewusst, und er benennt auch Gründe, wenn er in seiner Einleitung (S.9f) schreibt: „Dass das öffentliche philosophische Interesse und das Interesse an der Philosophie als Fachwissenschaft so weit auseinandergetreten sind, ist darauf zurückzuführen, dass wir in einer wissenschaftlich-technischen Welt leben, in der nur das Gehör findet, was solchen Standards auch genügt. Je stärker die Philosophie bemüht ist, dem zu entsprechen, umso mehr scheint sie dieses öffentliche Gehör gerade zu verlieren – aus Gründen der Verständlichkeit…“ Was in diesen Worten mitschwingt, ist wohl nicht nur ein leichter Hauch von Wehmut  und Nostalgie.
In den folgenden 14 Kapiteln referiert und analysiert Herbert Schnädelbach ausgewählte Problemstellungen der theoretischen Philosophie, wie Sinn und Bedeutung, Subjekt – Objekt, Werte und Normen. In den einzelnen Kapiteln werden zunächst Problembestimmungen und Problemdeutungen vorgenommen, die z.T. auch sprachanalytische Erläuterungen umfassen. Es folgen philosophiehistorische Betrachtungen der Problem- und Erkenntnisevolution, bei denen meist Aristoteles, Hume, Kant und Wittgenstein als stützende Referenzen herhalten. Je nach Betrachtungsgegenstand wird das Kapitel mit einer Diskussion des aktuellen Erkenntnisstandes abgeschlossen, wobei der Autor angibt, was davon gesichertes Wissen ist und dies mit den Worten: „Philosophen können wissen, dass…“ ausdrückt. Schnädelbach ist sich also seiner Sache doch nicht so sicher, wie im Buchtitel behauptet, und das ist gut so. Denn „unser Wissen ist fehlbar“, wie er selbst in der Einleitung (S.14)  betont.
Die Präsentation des Materials und der Darlegungsstil lassen den erfahrenen Hochschullehrer erkennen, wirken mit der immer gleichen Kapitelstruktur aber auf die Dauer etwas ermüdend. Auch wenn Schnädelbach versucht, seiner Darstellung einen propädeutischen Charakter zu verleihen und verständlich zu argumentieren, dem philosophischen Einsteiger ist das Buch nicht unbedingt zu empfehlen. Zu komplex sind die Sachverhalte, zu mäandernd die Argumentationslinien. Auch ist es keineswegs geeignet, der eingangs erwähnten Legitimationskrise der akademischen Philosophie abzuhelfen. Während der Lektüre hat sich bei mir hingegen der Eindruck verfestigt, dass in der deutschen akademischen und theoretischen Philosophie Kant immer noch (oder schon wieder?) das Maß aller Dinge ist. Ob dieser Eindruck hinreichend zu begründen ist, kann ich wegen mangelnder Sachkenntnis nicht beurteilen. Empfehlenswert ist „Was Philosophen wissen…“ für den interessierten und kundigen Leser allemal und trotzdem. Er sollte allerdings bereit sein, Zeit, Geduld und Aufmerksamkeit zu investieren.
Abschließend sei erwähnt, dass Herbert Schnädelbach für sein Buch den diesjährigen Essay-Preis "Tractatus" des Philosophicum Lech erhalten hat.

Herbert Schnädelbach, Was Philosophen wissen und was man von ihnen lernen kann. C.H. Beck, 2012

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