Unter
dem etwas sperrigen Namen „3.
Nationaler Radverkehrskongress“ fand diese Woche in
Deutschlands Radlerhochburg Münster, wie dem Titel zu entnehmen ist,
zum dritten Mal eine zweitägige Vortrags- und wohl auch
Diskussionsveranstaltung zur Entwicklung des Radfahrens statt.
Ausrichter waren das Bundesverkehrsministerium, dessen Vorsteher
Peter Ramsauer ja erst vor wenigen Wochen öffentlich über
Kampfradler geklagt hatte, und das nordrhein-westfälische
Verkehrsministerium. Themen waren so wichtige Angelegenheiten wie
Pedelecs, Radverleih, Marketing und Kommunikation sowie der
Dauerbrenner Sicherheit. Um ehrlich zu sein, solche
Vorzeigeveranstaltungen, bei denen sich Politiker,
Verkehrswegestrategen und Marketingfuzzis gegenseitig die
Wunderbeutel umhängen, interessieren mich nicht sonderlich. Ich
fahre Rennrad, und fühle mich deshalb durch keinen der erwähnten
Protagonisten, ja nicht einmal durch den Bund Deutscher
Radfahrer (BDR) hinreichend vertreten.
Vor
ein paar Tagen war Himmelfahrt, traditionell der Tag, an dem
bundesweit die Straßen von eher weniger nüchternen, Rad fahrenden
Männern bevölkert sind. Man sollte meinen, an einem solchen Tag
würde jeder Autofahrer in Kenntnis der Tradition sich
einigermaßen rücksichtsvoll verhalten. Weit gefehlt, man wird
genauso angepöbelt wie sonst auch, wenn man nicht den
kombinierten Fuß-Rad-Weg benutzt, man wird genau so nahkampfmäßig
überholt, und entgegen kommende Überholer schießen einen genauso
ab, wie sonst auch. Entgegen aller Beteuerungen von Politik oder ADAC
gehört die deutsche Landstraße dem Autofahrer und nur ihm. Na gut,
die Biker sind dort natürlich auch willkommen, aber alles, was in
der Spitze weniger als 100 km/h schafft, stört, muss angehupt,
angeschnauzt und bisweilen auch bekämpft werden. Damit nicht genug,
wird man an einem solchen Tag auch noch von den Radwege
benutzenden Feiertagsradlern angepöbelt, die einen in ihrer
bierseligen Stimmung, aus welchen Gründen auch immer, ebenso
als abseitig und störend ansehen und entsprechend titulieren.
Man
könnte wohl darüber stehen, wenn sich hierin nicht
ethnisch-kulturelle Konstanten des Deutschen als solchem
offenbaren würden: Intoleranz, Rechthaberei, Rücksichtslosigkeit,
Verachtung des Anderen. Und man könnte wohl darüber hinweg sehen,
wenn diese Grundhaltungen nicht immer wieder Tote und Verletzte
fordern würden.
Der
Rennradfahrer befindet sich dabei in einer prekären Situation. Das
Rennradfahren ist die wohl einzige Sportart, die, von Lizenz-
und einigen wenigen Jedermannrennen abgesehen, im laufenden
öffentlichen Verkehr ausgeübt werden muss, das Training allemal.
Während sich Läufer auf Park-, Wald- oder wenigstens Fußwege
flüchten können, der Mountainbiker sowieso lieber in Wald, Feld und
Flur unterwegs ist, während andere Sportarten eh innerhalb
geschützter Refugien wie Stadien und Hallen ausgeübt werden, muss
sich der Rennradfahrer gewissermaßen ins wahre Leben stürzen
und mit allen anderen Straßenbenutzungsanspruchsberechtigten
auseinandersetzen. Das wäre an sich kein sonderliches Problem,
wie die Praxis in und auch meine Erfahrungen mit anderen europäischen
Ländern zeigen. Egal ob Niederlande, Belgien, Frankreich, Spanien
oder Italien, alles natürlich klassische Radsportnationen, man
wird dort einfach anders und zwar freundlich und wohlwollend
behandelt, während man in Deutschland eben als störender Fremdkörper
angesehen wird. Und zwar so ziemlich von allen. Es ist schlichtweg
schwer vorstellbar, dass hierzulande, während man sich einen Anstieg
hoch quält und dabei von wildfremden PKW oder LKW überholt
wird, man von Fahrer oder Insassen der Fahrzeuge angefeuert wird. Aus Frankreich, Italien oder Spanien kennt man das wohl.
Zwei
Episoden aus den letzten Jahren: Auf dem Rückweg von meiner
Hausrunde fahre ich auf einer 30er-Straße, die von einem so
schmalen kombinierten Fuß-Radweg gesäumt wird, dass man ihn guten
Gewissens nicht einmal mit einem Cityrad befahren würde. Auf
der Straße befindet sich u.a. auch ein langgestreckter
Verkehrsteiler, der die Fahrbahn ziemlich schmälert, so dass man
dort keinen Radfahrer überholen kann. In dieser Verkehrsteilerzone
fährt ein roter Opel Astra hinter mir und muss sich natürlich etwas
gedulden. Das stört ihn offenbar so sehr, dass er, nachdem er mich
anschließend überholt hat, in einem abrupten Rechtsschwenk direkt
vor mir schräg zum Stehen kommt, so dass ich fast auf ihn aufpralle.
Noch ehe ich mich richtig darüber aufregen kann, erklärt mir
der Fahrer, dass ich nach seiner Meinung nichts auf der Straße zu
suchen, sondern den beschriebenen Fuß-Radweg zu benutzen hätte.
Damals habe ich angefangen, mir für solche und ähnliche Fälle die
passenden arroganten Sätze zu zu legen.
Wiederum an Himmelfahrt waren mein Trainingspartner und ich auf einer
feiertagsmäßig recht leeren und ruhigen Landstraße unterwegs,
als uns ein Renault Laguna überholte, uns zunächst mit seinem
Scheibenwischwasser vollspritze und dann ebenso abrupt vor uns
stoppte, so dass ich gerade so an ihm vorbei zirkeln konnte, während
mein Trainingspartner beim Ausweichmanöver seine linke Flanke
streifte und zu Fall kam. Auf erregte Anfrage erklärte uns der
Fahrer, wie sich später heraus stellte, ein gewisser Theodor
Henkel1,
dass wir nebeneinander statt hintereinander gefahren seien, und
das ja verboten wäre. Das gab mir die Gelegenheit, meine
vorgefertigten Sätze los zu werden, wie, ob er die StVO
wirklich gelesen und auch verstanden zu haben meine, ob er sich
wirklich sicher sei, dass die StVO ihm gestatte, so gefährdend in
den Straßenverkehr einzugreifen, ob er sich dessen bewusst sei,
dass er gerade bewusst und absichtlich die Schädigung von Menschen
in Kauf genommen habe, und ob seine Mutter ihm wohl solch eine
Verhaltensweise empfohlen habe. Die Geschichte mit Theodor Henkel
ging dann noch weiter, doch das zu schildern, erspare ich mir jetzt
mal. Wichtig daran ist ja nur, dass sie meine Einschätzung
bestätigt: Intoleranz, Rechthaberei, Rücksichtslosigkeit,
Verachtung des Anderen.
Nun
ist das mit den Radwegen ja ein typischer Alltagsfall von Verstoß
gegen das Humesche
Gesetz,
nach dem Sein nicht Sollen impliziert, denn aus dem Vorhandensein
eines Radweges, erst Recht eines kombinierten Fuß-Rad-Weges, folgt
längst nicht, dass dieser vom Radfahrer auch unter allen Umständen
zu benutzen sei, denn nach dem Urteil
des Bundesverwaltungsgerichts vom 18.11.2010 gilt:
- Die Fahrbahnbenutzung ist der Regelfall für den Radverkehr.
- Die Radwegebenutzungspflicht stellt eine Beschränkung des fließenden Radverkehrs im Sinne von §45 (9) StVO dar.
- Sie darf deshalb nur bei einer das allgemeine Risiko erheblich übersteigenden Gefahrenlage angeordnet werden.
Selbst
eine Kommune darf eine Radwegebenutzungspflicht also nur unter sehr
bestimmten Umständen aussprechen und muss dies entsprechend
eindeutig kennzeichnen, und Autofahrer sollten, bevor sie sich
auf Schilder berufen, um Radfahrer von der Straße zu befördern,
über deren genaue Bedeutung resp. Implikationen kundig
machen. Was die Mehrheit der Autofahrer natürlich nicht tun wird,
weshalb sich an der Situation des Rennradlers auf der Straße wohl
nichts Wesentliches ändern wird. Er wird in dieser Sandwichposition
verbleiben müssen: Zu schnell für den Radweg (dort kalkulieren
die Verkehrsplaner mit max. 30 km/h, bei kombinierten Fuß-Rad-Wegen
innerorts gar nur mit max. 15 km/h) und zu langsam für die
Landstraße.
Um
nicht falsch verstanden zu werden, ich finde das Verhalten einiger
Radler (der, die Ramsauer wohl meinte) genau so kritikwürdig.
Besonders die Berliner zeichnen sich hierin nach meiner Erfahrung
besonders aus. Nur rechtfertigt natürlich das eine nicht das
andere.
Morgen
jedenfalls geht es nach Bimbach bei Fulda, und am Pfingstsonntag sind
wir dann auf den Straßen in der Rhön in der Mehrheit – wie jedes
Jahr.
1Name
nicht geändert.
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