Freitag, 10. Juli 2015

Ein schönes Wort

Verschiedene Sprachen klingen bekanntlich verschieden. Hier, im sonnigen Südwesten Frankreichs ist mir das gerade wieder ganz besonders aufgefallen, wenn ich nämlich beim Durchradeln des Dept. Pyrenées-Orientales, der Gegend um die Stadt Perpignan also, die Ortsschilder mit Angabe der zugehörigen Partnergemeinden gelesen habe.
Der Ort mit dem wohlklingenden Namen Bages bspw. hat das Pech, das deutsche Nieder­stotzingen zur Partnergemeinde zu haben. Noch ärger hat es das Wein- und Winzerdorf Tautavel getroffen, dessen deutsche Partnergemeinde Mauer heißt. Ich wusste bis dato nicht, dass es einen Ort solchen Namens überhaupt gibt. Und die Mauer ward doch 1989/90 abgerissen, denkt man. Die Gemeinde mit dem wirklich wenig ästhetischen Na­men Mauer liegt allerdings nahe Heidelberg. Gerade am Wort Mauer zeigt sich, dass nicht nur der Klang die Ästhetik eines Wortes bestimmt, sondern auch seine Bedeutung.
Die englische Band Elbow habe sich, so wird behauptet, so benannt, weil Elbow (Ellenbo­gen) das englische Wort mit dem sinnlichsten Klang sei. Nun klingt Ellenbogen im Deut­schen auch nicht unangenehm, doch eignet dem Wort eine weitere, über die rein anatomi­sche hinausgehende Bedeutung, wie am wenig schönen Begriff Ellenbogengesellschaft deutlich wird. Ich glaube nicht, dass es diese Wortkombination im Englischen gibt - elbow society - jedenfalls nicht in der deutschen Bedeutung. Das sieht doch sehr nach english for runaways aus.
Fragte man mich nach dem schönsten, sinnlichsten, wohlklingendsten Wort der deutschen Sprache, so würde ich Feierabend nennen. Feierabend hat einen sehr angenehmen Klang und dazu noch eine höchst angenehme Bedeutung. Auch scheint es in dieser Bedeutung einzigartig zu sein. Schwer vorstellbar, dass im Englischen die Zeit nach Arbeitsschluss ce­lebration evening genannt wird oder im Französischen soirée de fête oder im Spanischen noche del la fiesta. Für die arbeitsbesessenen Deutschen aber kommt nach der täglichen Arbeit das abendliche Feiern. Mit dieser Wortbildung, so scheint es, zeigen wir uns einmal mehr konsequenter und radikaler als unsere europäisch-kulturgemeinschaftlichen Mitbür­ger altgermanischer Stammesherkunft. Dass am Abend nach getaner (Lohn-) Arbeit noch Zeit für anderes bleibt, ist dem Deutschen ein Grund zum Feiern. Und das wiederum heißt für ihn, sich in der dem Werktor nächstgelegenen Kneipe im Kreise gleich ausgebeuteter Lohnsklaven zu besaufen oder wenigstens in Stimmung zu trinken.
Als ich Anfang der 1980er Jahre ein paar Wochen als Hilfskraft auf dem hiesigen Schlacht­hof arbeitete, begann der Feierabend meist schon zwischen 14 und 15 Uhr. Dann war i.d.R. das Tagespensum zu tötender, zu reinigender und zu zerlegender Schweine bewältigt und nach obligatorischer Schichtschlusshygiene ging es in die besagte Kneipe vor dem Werktor, die natürlich den Namen „Zum Schlachthof“ trug. Dort verschaffte man sich mit Bier und Korn die nötige Stimmung, um am eigentlichen Abend das häusliche Elend mit Frau und Kindern zu ertragen oder zuvor noch im Schrebergarten oder im Hobbykeller seinen von der entfremdeten Lohnarbeit noch nicht gestillten Beschäftigungstrieb auszuleben und sich erst danach dem besagten Elend auszusetzen. So bedeutet denn Feierabend, dieses wohl­klingende, sinnliche Wort, die versoffene und vertrödelte Zeit zwischen zwei Pflichtübun­gen – dem Broterwerb und der Arterhaltung. Der werktätige Mann erkauft sich seinen Feierabend damit, beiden Pflichtübungen hinreichend nachzukommen.
Ich glaube, dass dies auch in den anderen Sprachkulturen so war und z.T. noch so ist; dar­auf deutet u.a. das Verhalten amerikanischer und britischer Polizisten in diversen Spielfil­men und Fernsehserien hin, nur gibt es dort dafür kein so schönes Wort wie im Deutschen. Feierabend scheint eines dieser einzigartigen, unübertragbaren deutschen Wörter zu sein, wie sie als Lehnwörter so manches Mal überraschenderweise in einer Fremdsprache auftauchen: Blitzkrieg, Führerprinzip, Leitmotif, Wanderlust im Englischen etwa, oder Absatz, Rucksack, Durchschlag, Wunderkind im Russischen.
Wie lange es wohl den Feierabend in dieser Bedeutung noch geben wird? Als leere Floskel vom „Schönen Feierabend“ ist er noch präsent. In der traditionellen Bedeutung ist er wohl am Aussterben, auch und gerade weil die Klasse der Industriearbeiter am Verschwinden ist. Die unsägliche Rede von der work-life-balance – als würde man bei der Arbeit nicht le­ben – beweist gleichsam, dass der postmoderne selbstausbeutende Arbeitnehmer, der Fle­xible Mensch1 des neuen Kapitalismus den Feierabend in dieser Bedeutung nicht mehr er­lebt bzw. erleben soll. Er kennt nur noch die eine Pflichtübung der Arbeit, die möglichst sein ganzes Leben in Beschlag nehmen soll. Insofern wäre die Zurückeroberung des tradi­tionellen Feierabends, wozu es in Gestalt der After-Work-Parties ja bereits Versuche gab, möglicherweise ein Akt der individuellen Emanzipation vom Druck der Durchökonomisie­rung aller Lebensbereiche und der Wiedergewinnung von etwas Heiligem im profanen All­tag. Traun wir uns doch einfach.

1Richard Sennet. Der flexible Mensch. btb 2000

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