Howgh! Der
Häuptling hat gesprochen. Der König der „amtierenden Theokratie“, wie Peter
Sloterdijk das politische System der
Vereinigten Staaten von Amerika einst einzuordnen versuchte. Obama also
hat zur NSA-Affäre gesprochen, und damit kann sie nun wirklich als beendet
angesehen werden. Bei
allem Unmut und allem Unbehagen darüber, dass die Affäre, wie von Anfang an zu
erwarten war, ausging wie das Hornberger Schießen, sollte man sich doch darüber
freuen, dass endlich Klartext gesprochen wurde und das unsägliche
Schmierentheater der vergangenen Monate, das vor allem auf der hiesigen
politischen Bühne aufgeführt wurde, ein Ende gefunden hat.
Ich habe Obamas
Rede weder gehört noch gelesen, auch nicht das Interview, das ZDF-Anchorman
Claus Kleber mit ihm geführt hat. Muss man wohl auch nicht, denn, wie gesagt,
der Ausgang der ganzen Angelegenheit stand lange vorher fest: Alles bleibt im
Wesentlichen so, wie es ist. Man wird einige Exzesse der NSA und anderer
Dienste zu zügeln versuchen, also ein paar kosmetische Eingriffe vornehmen, um
die Verbündeten nicht zu sehr zu vergrätzen. Die Notwendigkeit und
Sinnhaftigkeit der etablierten und mit den Snowden Papers offen gelegten
Praktiken jedoch wird ausdrücklich bestätigt. Und nun fragt man sich wie so oft
im Leben: Warum ist das so?
Vielleicht hilft ein
Blick in die Geschichte. Das US-Imperium, so wie wir es kennen, entstand im
Ergebnis des Zweiten Weltkriegs und des Zusammenbruchs zunächst des britischen
Kolonialreichs und später des Sowjetreichs. Es basiert, oder sollte man besser
sagen basierte auf drei Pfeilern. Da sind zum einen die Militärstützpunkte.
Nach dem Krieg begannen die USA, die Welt mit einem Netz dieser Stützpunkte zu
überziehen, wobei die meisten in Europa, Asien und im Pazifikraum angesiedelt
wurden. Später dann wurden, wo es sich anbot, die postkoloniale
Hinterlassenschaft der Briten, wie etwa Pakistan oder Ägypten, und zuletzt die
Nachfolgestaaten der Sowjetunion in das globale Stützpunktnetz eingewoben. Der
zweite Pfeiler ist das Bündnissystem mit NATO, Rio-Pakt, ANZUS usf. Ein dritter
Pfeiler des Imperiums war bekanntlich das Währungssystem von Bretton Woods, das
die kapitalistische Weltwirtschaft in die faktische Abhängigkeit vom Dollar
brachte. Die Weltmachtposition der USA basierte und basiert darauf, dass sie
völlig legitim in der Lage waren, zu jedem Zeitpunkt und an jedem beliebigen
Ort dieser Welt militärisch oder wirtschaftlich einzugreifen oder zumindest
Druck auszuüben. Jedenfalls war das bis zum Ende des Kalten Krieges der Fall.
Die Ironie der
Geschichte ist wohl, dass der Zusammenbruch des Sowjetimperiums gerade nicht
den endgültigen Sieg des amerikanischen Imperiums bedeutete. Gesiegt haben
nicht die Amerikaner, gesiegt hat das System. Und dieses kapitalistische
System setzt eben nicht nur ökonomische Kräfte frei, sondern auch
emanzipatorische, wie wir zuletzt am Arabischen Frühling oder an den Revolten
in der Ukraine beobachten konnten. Zur emanzipatorischen Bewegung der
postsowjetischen Ära gehört auch die Umwandlung der Europäischen Gemeinschaft
von einer rein wirtschaftlichen in eine politische und Währungsunion in den
1990er und beginnenden 2000er Jahren, die in erster Linie von Frankreich, dem
traditionellen politischen Gegenspieler der USA[2]
vorangetrieben wurde. Eine zweite Ironie der Geschichte besteht wohl darin, dass
die Anschläge von 9/11 mitten im
laufenden europäische Emanzipationsprozess verübt und zu allem Ärger
noch maßgeblich in Europa vorbereitet wurden.
Versucht man,
sich in die Gedankenwelt amerikanischer Strategen hinein zu versetzen, die
einerseits den ersten massiven Angriff von Nichtamerikanern auf amerikanisches
Territorium konstatieren und andererseits die fortschreitende Erosion des nach
dem Krieg mühsam aufgebauten und teuer unterhaltenen imperialen Systems
beobachten mussten, dann erscheint das Vorgehen der NSA nur allzu schlüssig,
zumal die neuen Möglichkeiten des Internets spätestens seit den späten 1990er
Jahren geradezu dazu einluden, die im physikalischen Raum erprobten Vorgehensweisen auch im virtuellen
Raum anzuwenden. Die NSA ist kein gewöhnlicher Geheimdienst, sie ist Teil des
Militärapparats der USA, sie ist ein globales Waffensystem, wie
Christian Stöcker auf Spiegel-Online
richtig feststellte. Aber sie ist noch mehr, und das zeigt die Rede des Königs,
sie ist ein politisches Instrument zur Aufrechterhaltung der globalen
Kontrolle über alles und jeden angesichts des konstatierten Verfalls der
vormaligen, auf physischer Präsenz, politischer Dominanz und wirtschaftlicher
Stärke basierenden Vorherrschaft.
Was die NSA im
Netz eingerichtet hat, ähnelt in verblüffender Art dem oben dargestellten
dreipfeiligren System aus Stützpunkten, Bündnissen und Finanzkontrolle. Da sind
zum einen die Rechner und Router, die schon vor Inbetriebnahme infiltriert
werden, und die vielen anderen mittels Viren, Trojanern und Bots eingerichteten
Anzapfstellen, zum anderen gibt es da das Five-Eyes-Abkommen der größten
englischsprachigen Nationen, und zum dritten erlaubt das Sammeln aller Daten
auch die Kontrolle über die globalen Finanzströme, die für das Überleben des
amerikanischen Staates, des größten Schuldners aller Zeiten, natürlich von
enormer Bedeutung ist.
Und ganz nebenbei
kann man damit noch den Anti-Terror-Kampf führen, obwohl, wie mir scheint,
genau der eine eher untergeordnete Rolle spielen dürfte. Die Leute in der NSA
dürften intelligent genug sein, zu wissen, dass dieser War on Terror,
genauso wie der reale, ein asymmetrischer ist, dass also die schiere Massivität
der Netzüberwachung angesichts der üblichen Guerillataktiken keinen Erfolg
garantiert. Bei allen berechtigten Vorbehalten gegenüber Carl Schmitt als
„Kronjurist der Nazis“, hat er doch ein wirklich empfehlenswertes Buch
geschrieben, „Theorie des Partisanen“.[3]
Die folgende, daraus entnommene
Textpassage illustriert gleichsam in einer Vorausschau, was die NSA und der
amerikanische Staat in Gänze aktuell exekutieren: „Die Feindschaft wird so
furchtbar werden, dass man vielleicht nicht einmal mehr von Feind oder
Feindschaft sprechen darf und beides sogar in aller Form vorher geächtet und
verdammt wird, bevor das Vernichtungswerk beginnen kann. Die Vernichtung wird
dann ganz abstrakt und ganz absolut. Sie richtet sich überhaupt nicht mehr
gegen einen Feind, sondern dient nur noch einer angeblich objektiven
Durchsetzung höchster Werte, für die bekanntlich kein Preis zu hoch ist. Erst
die Ableugnung der wirklichen Feindschaft macht die Bahn frei für das
Vernichtungswerk einer absoluten Feindschaft.“
Für uns
Otto-Normaluser hingegen ändert sich absehbar nichts. Uns bleiben nur die alten
paulinischen Werte Glaube und Hoffnung, von Liebe kann hier wohl eh
keine Rede sein. Glaube und Hoffnung beruhen auf Vertrauen, und Vertrauen ist
nach der Definition von Jan Philipp Reemtsma die Erwartung darin, dass der
andere etwas nicht tut. So bleiben uns nur der Glaube daran, dass die USA eine
gute Nation sind, und die Hoffnung darauf, dass die NSA ihre Möglichkeiten
nicht dazu ausnutzt, etwas für uns Unerwartetes zu tun. Ganz im Sinne von
Churchills gern zitiertem Bonmot „Man kann sich immer darauf verlassen, dass
die Amerikaner das Richtige tun - nachdem sie alles andere ausprobiert haben.“
[2] Zur Illustration dieser These schaue man sich auf einer Weltkarte einmal die „natürlichen Flugzeugträger“,
wie Guadeloupe oder Martinique in der Karibik an. Auch Kourou in Französisch
Guyana, von wo die Ariane-Raketen abgeschossen werden, ist nicht so weit weg
von Miami.
[3] Carl Schmitt, Theorie des Partisanen. Duncker & Humblodt. 1963
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