Sonntag, 19. Januar 2014

The King's Speech

Howgh! Der Häuptling hat gesprochen. Der König der „amtierenden Theokratie“, wie Peter Sloterdijk das politische System der  Vereinigten Staaten von Amerika einst einzuordnen versuchte. Obama also hat zur NSA-Affäre gesprochen, und damit kann sie nun wirklich als beendet angesehen werden. Bei allem Unmut und allem Unbehagen darüber, dass die Affäre, wie von Anfang an zu erwarten war, ausging wie das Hornberger Schießen, sollte man sich doch darüber freuen, dass endlich Klartext gesprochen wurde und das unsägliche Schmierentheater der vergangenen Monate, das vor allem auf der hiesigen politischen Bühne aufgeführt wurde, ein Ende gefunden hat.
Ich habe Obamas Rede weder gehört noch gelesen, auch nicht das Interview, das ZDF-Anchorman Claus Kleber mit ihm geführt hat. Muss man wohl auch nicht, denn, wie gesagt, der Ausgang der ganzen Angelegenheit stand lange vorher fest: Alles bleibt im Wesentlichen so, wie es ist. Man wird einige Exzesse der NSA und anderer Dienste zu zügeln versuchen, also ein paar kosmetische Eingriffe vornehmen, um die Verbündeten nicht zu sehr zu vergrätzen. Die Notwendigkeit und Sinnhaftigkeit der etablierten und mit den Snowden Papers offen gelegten Praktiken jedoch wird ausdrücklich bestätigt. Und nun fragt man sich wie so oft im Leben: Warum ist das so?
Vielleicht hilft ein Blick in die Geschichte. Das US-Imperium, so wie wir es kennen, entstand im Ergebnis des Zweiten Weltkriegs und des Zusammenbruchs zunächst des britischen Kolonialreichs und später des Sowjetreichs. Es basiert, oder sollte man besser sagen basierte auf drei Pfeilern. Da sind zum einen die Militärstützpunkte. Nach dem Krieg begannen die USA, die Welt mit einem Netz dieser Stützpunkte zu überziehen, wobei die meisten in Europa, Asien und im Pazifikraum angesiedelt wurden. Später dann wurden, wo es sich anbot, die postkoloniale Hinterlassenschaft der Briten, wie etwa Pakistan oder Ägypten, und zuletzt die Nachfolgestaaten der Sowjetunion in das globale Stützpunktnetz eingewoben. Der zweite Pfeiler ist das Bündnissystem mit NATO, Rio-Pakt, ANZUS usf. Ein dritter Pfeiler des Imperiums war bekanntlich das Währungssystem von Bretton Woods, das die kapitalistische Weltwirtschaft in die faktische Abhängigkeit vom Dollar brachte. Die Weltmachtposition der USA basierte und basiert darauf, dass sie völlig legitim in der Lage waren, zu jedem Zeitpunkt und an jedem beliebigen Ort dieser Welt militärisch oder wirtschaftlich einzugreifen oder zumindest Druck auszuüben. Jedenfalls war das bis zum Ende des Kalten Krieges der Fall.
Die Ironie der Geschichte ist wohl, dass der Zusammenbruch des Sowjetimperiums gerade nicht den endgültigen Sieg des amerikanischen Imperiums bedeutete. Gesiegt haben nicht die Amerikaner, gesiegt hat das System. Und dieses kapitalistische System setzt eben nicht nur ökonomische Kräfte frei, sondern auch emanzipatorische, wie wir zuletzt am Arabischen Frühling oder an den Revolten in der Ukraine beobachten konnten. Zur emanzipatorischen Bewegung der postsowjetischen Ära gehört auch die Umwandlung der Europäischen Gemeinschaft von einer rein wirtschaftlichen in eine politische und Währungsunion in den 1990er und beginnenden 2000er Jahren, die in erster Linie von Frankreich, dem traditionellen politischen Gegenspieler der USA[2] vorangetrieben wurde. Eine zweite Ironie der Geschichte besteht wohl darin, dass die Anschläge von 9/11 mitten im  laufenden europäische Emanzipationsprozess verübt und zu allem Ärger noch maßgeblich in Europa vorbereitet wurden.
Versucht man, sich in die Gedankenwelt amerikanischer Strategen hinein zu versetzen, die einerseits den ersten massiven Angriff von Nichtamerikanern auf amerikanisches Territorium konstatieren und andererseits die fortschreitende Erosion des nach dem Krieg mühsam aufgebauten und teuer unterhaltenen imperialen Systems beobachten mussten, dann erscheint das Vorgehen der NSA nur allzu schlüssig, zumal die neuen Möglichkeiten des Internets spätestens seit den späten 1990er Jahren geradezu dazu einluden, die im physikalischen Raum  erprobten Vorgehensweisen auch im virtuellen Raum anzuwenden. Die NSA ist kein gewöhnlicher Geheimdienst, sie ist Teil des Militärapparats der USA, sie ist ein globales Waffensystem, wie Christian Stöcker auf Spiegel-Online richtig feststellte. Aber sie ist noch mehr, und das zeigt die Rede des Königs, sie ist ein politisches Instrument zur Aufrechterhaltung der globalen Kontrolle über alles und jeden angesichts des konstatierten Verfalls der vormaligen, auf physischer Präsenz, politischer Dominanz und wirtschaftlicher Stärke basierenden Vorherrschaft.
Was die NSA im Netz eingerichtet hat, ähnelt in verblüffender Art dem oben dargestellten dreipfeiligren System aus Stützpunkten, Bündnissen und Finanzkontrolle. Da sind zum einen die Rechner und Router, die schon vor Inbetriebnahme infiltriert werden, und die vielen anderen mittels Viren, Trojanern und Bots eingerichteten Anzapfstellen, zum anderen gibt es da das Five-Eyes-Abkommen der größten englischsprachigen Nationen, und zum dritten erlaubt das Sammeln aller Daten auch die Kontrolle über die globalen Finanzströme, die für das Überleben des amerikanischen Staates, des größten Schuldners aller Zeiten, natürlich von enormer Bedeutung ist.
Und ganz nebenbei kann man damit noch den Anti-Terror-Kampf führen, obwohl, wie mir scheint, genau der eine eher untergeordnete Rolle spielen dürfte. Die Leute in der NSA dürften intelligent genug sein, zu wissen, dass dieser War on Terror, genauso wie der reale, ein asymmetrischer ist, dass also die schiere Massivität der Netzüberwachung angesichts der üblichen Guerillataktiken keinen Erfolg garantiert. Bei allen berechtigten Vorbehalten gegenüber Carl Schmitt als „Kronjurist der Nazis“, hat er doch ein wirklich empfehlenswertes Buch geschrieben, „Theorie des Partisanen“.[3] Die folgende, daraus  entnommene Textpassage illustriert gleichsam in einer Vorausschau, was die NSA und der amerikanische Staat in Gänze aktuell exekutieren: „Die Feindschaft wird so furchtbar werden, dass man vielleicht nicht einmal mehr von Feind oder Feindschaft sprechen darf und beides sogar in aller Form vorher geächtet und verdammt wird, bevor das Vernichtungswerk beginnen kann. Die Vernichtung wird dann ganz abstrakt und ganz absolut. Sie richtet sich überhaupt nicht mehr gegen einen Feind, sondern dient nur noch einer angeblich objektiven Durchsetzung höchster Werte, für die bekanntlich kein Preis zu hoch ist. Erst die Ableugnung der wirklichen Feindschaft macht die Bahn frei für das Vernichtungswerk einer absoluten Feindschaft.“
Für uns Otto-Normaluser hingegen ändert sich absehbar nichts. Uns bleiben nur die alten paulinischen Werte Glaube und Hoffnung, von Liebe kann hier wohl eh keine Rede sein. Glaube und Hoffnung beruhen auf Vertrauen, und Vertrauen ist nach der Definition von Jan Philipp Reemtsma die Erwartung darin, dass der andere etwas nicht tut. So bleiben uns nur der Glaube daran, dass die USA eine gute Nation sind, und die Hoffnung darauf, dass die NSA ihre Möglichkeiten nicht dazu ausnutzt, etwas für uns Unerwartetes zu tun. Ganz im Sinne von Churchills gern zitiertem Bonmot „Man kann sich immer darauf verlassen, dass die Amerikaner das Richtige tun - nachdem sie alles andere ausprobiert haben.“




[2] Zur Illustration dieser These schaue man sich auf einer Weltkarte einmal die „natürlichen Flugzeugträger“, wie Guadeloupe oder Martinique in der Karibik an. Auch Kourou in Französisch Guyana, von wo die Ariane-Raketen abgeschossen werden, ist nicht so weit weg von Miami.

[3] Carl Schmitt, Theorie des Partisanen. Duncker  & Humblodt. 1963

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