Das
angesprochene Banker-Bashing will mir mittlerweile nicht mehr so recht einleuchten.
Das riecht nach Nebelkerzen. Banken, egal ob Geschäftsbanken, Investmentbanken
oder Fondgesellschaften, betreiben seit eh und je das Geschäft der Spekulation.
Uns als einfachen Inhabern von Giro- oder Spar- oder Festgeldkonten mag das
nicht so präsent sein, und es fällt uns
nicht einmal auf, wenn wir einen Kredit aufnehmen. Wir erwarten nur, dass das
eingezahlte Geld verfügbar ist, das Sparguthaben um die vertraglich
versprochene Rate steigt und ein Kreditzins während der Laufzeit nicht erhöht
wird. Dass das so ist, liegt an unserer Stellung als Verbraucher, auf deren
Seite der Staat mit seiner Verbraucherschutzgesetzgebung den vertrauensvollen
Dritten im Verhältnis zu den Banken spielt. Was für Privatpersonen als Bankkunden
gilt, gilt gleichermaßen für Unternehmen. In der Rolle von Geschäftsbanken sind
Banken vertrauenswürdig, weil sie einer weitgehend kundenorientierten staatlichen
Regulierung unterliegen. Doch zurück zur Spekulation.
Mit
Geld arbeiten, heißt, es zu vermehren – durch Kredite. Eine Kreditvergabe ist
ein Geschäft mit der Zukunft und deshalb stets spekulativ. Sie ist eine Spekulation
darauf, dass der Kreditnehmer sich an die Kreditvereinbarung hält und den
geliehenen Betrag zzgl. der Zinsen im vereinbarten Zeitrahmen zurückzahlt. Genauso
ist eine Investition eine Spekulation darauf, dass sie sich lohnt, dass also das
Investitionsobjekt am Ende des Tages mehr Geld abwirft als anfangs hinein
gesteckt wurde. Der Geldgeber, gleich ob nun Bank oder Privatinvestor, geht
gewissermaßen eine Wette darauf ein, dass sich seine Prognose erfüllt. Wie das
mit Prognosen so ist, weiß man ja, denn sie betreffen die Zukunft, zu deren Attributen
bekanntlich gehört, reichlich ungewiss zu sein. Das Geldgeschäft hat insofern
den Charakter einer Wette, als es wegen der Ungewissheit der Prognose
risikobehaftet ist. Lange Zeit wurde deshalb in der Geldtheorie auch
angenommen, dass der Kreditzins als Risikoaufschlag anzusehen ist. Dass dem
nicht ganz so ist, kann man u.a. in der Geldtheorie von Otto Steiger und Gunnar
Heinsohn[1]
nachlesen und auch an der aktuellen Krisenbewältigungsstrategie der EZB[2]
erkennen.
Wir haben
das Geldgeschäft nicht als Spekulations- und Wettgeschäft wahrgenommen, weil
es, so lang es in den staatlich regulierten Bahnen abläuft, als solches nicht
unbedingt erkennbar ist. Die Regulierungen dienen schließlich der Risikominderung
für alle Beteiligten, auch für die Banken. Es konnte also nicht viel schief
gehen und wenn doch einmal, dann war man durch Finanzaufsicht, BGB und Insolvenzrecht
einigermaßen geschützt. Schwarze Schafe, hier also bösartige Spekulanten oder
gar Hochrisikospieler, gibt es in jeder Branche. Betrüger sowieso. Und im Casino
gilt ja eh: „Die Bank gewinnt immer.“
In diesem Sinne war der
Finanzkapitalismus schon immer ein Casino-Kapitalismus und wetten sein
Geschäftsmodell.
Was
sich in dem Spielcasino geändert hat und von uns als ordinären Bankkunden nicht
wahrgenommen werden konnte, obwohl es in den einschlägigen Medien thematisiert
wurde, ist, dass neue Wettspiele hinzugekommen sind, ohne dass diese mit den erforderlichen
Spielregeln versehen worden sind. Das schien zunächst auch nicht nötig zu sein,
denn es handelt sich um Wettspiele, die die Banken und Investmentfonds zum allergrößten
Teil miteinander austragen. Die spekulativen Geschäfte mit Kreditausfallversicherungen,
verbrieften Wertpapieren oder irgendwelchen anderen Derivaten, mit Wetten auf
steigende oder fallende Aktienkurse, Währungskurse oder Rohstoffpreise finden
fast ausschließlich zwischen den Playern am Finanzmarkt statt und das z.T. auch
außerhalb der öffentlichen Börsenplätze. Offenbar hatte man in der Politik angenommen,
dass es sich dabei lediglich um casinointerne Umverteilungen handelt, die keinerlei
gravierende Auswirkungen auf die sonstigen Geschäfte der Teilnehmer haben. Und
lange Zeit hatte es ja auch den Anschein, als würde die dabei entstehende globale
Finanzblase einen rein fiktiven, gewissermaßen virtuellen Geldwert darstellen,
dem kein realwirtschaftlicher Gegenwert entspricht -reines Buchgeld also, dass
nur zwischen den Finanzakteuren hin- und hergeschaufelt wird. Das Casino erschien
so als eine Art Second Life der
Finanzbranche und die Geldblase gefüllt mit Lindendollars.
Was
dabei nicht oder nur unzureichend berücksichtigt wurde, sind m.E. drei Aspekte:
(1) Die
Wettspiele der höheren Art (man könnte sie auch Wetten 2.0 nennen) werden unter Einsatz auch von echten Dollars gespielt.
Das System ist kein in sich geschlossenes. Das Interbankengeschäft mit Derivaten
und verbrieften Forderungen benötigt monetäre Zuflüsse, denn es ist wie jede
wirtschaftliche Aktivität im Kapitalismus dessen elementarer Wachstumslogik
unterworfen. Und da es selbst kein Geld erzeugt, haben sich die beteiligten Banken
und Fondgesellschaften am ihnen anvertrauten Geld der Anleger bedient und es
als Einsatz ins Casino geworfen, natürlich mit der festen Absicht und dem Versprechen,
es so zu vermehren. Auf ganz natürliche, systemimmanente Weise entstehen so Verflechtungen
und Wechselwirkungen zwischen den Wetten 2.0
und den Wetten 1.0, die dann doch zur
Schaffung von Geld führen müssen, um die Forderungen der Anleger zu erfüllen.
(2) Da die
steuernde und regulierende Funktion der Börsen beim Interbankenhandel umgangen
wird, entsteht ein selbstorganisierendes System, dessen Komplexität rapide anwächst.
Mit der Zahl der Derivate und der beteiligten Akteure steigt die Zahl der möglichen
Transaktionsbeziehungen exponentiell. Selbstorganisierende Systeme sind
nichtlinear, d.h. ihr Verhalten ist - ähnlich wie beim Wetter - nur eingeschränkt
und bestenfalls statistisch vorhersehbar. Die Systemtheorie lehrt, dass solche nichtlinearen,
selbstorganisierenden Systeme tendenziell instabil sind und bereits kleinste
Fluktuationen chaotische Auswirkungen bis zum Kollaps des Gesamtsystems haben
können. Dabei ist die Frage gar nicht, wie hoch die Wahrscheinlichkeit für
einen Kollaps ist, sondern nur wann er eintritt. Um eine Analogie zur
Thermodynamik zu bemühen, bleibt ein selbstorganisierendes System nur dann
dauerhaft am Leben, wenn es regelmäßig mit Energie versorgt wird, in diesem
Fall also mit Anlegerkapital. Um nichts anderes bemüht sich wohl die EZB, wenn
sie seit einiger Zeit hunderte Milliarden Euro in das europäische Bankensystem
pumpt.
(3) Der bereits
zitierte Satz: „Die Bank gewinnt immer.“
gilt in diesem Casino nicht. Es gibt
keine Bank im Sinne der klassischen Spielbank. Diese Rolle könnten die Zentralbanken oder der IWF oder eine andere globale
Finanzbehörde eventuell ausfüllen. In Wirklichkeit geht das aber nicht, denn mit
der Kopplung der Staatsschuldenfinanzierung an die Geschäfts- und Investmentbanken
haben sich die Staaten und mit ihnen die Zentralbanken selbst zu Protagonisten
des Wetten 2.0-Systems gemacht. Primär
zwar nicht als Spieler, sondern als Wettobjekte, trotzdem macht sie das zu
einem Teil des Systems.[3]
Damit rächt sich nun die Vernachlässigung des Regelwerks bei der Freigabe des
Casinobetriebs durch die staatlichen Aufsichtsbehörden. Dass sich die Finanzbranche
vehement gegen die Einführung neuer Spielregeln wehrt, ist vor diesem Hintergrund
nur zu verständlich, besonders wenn man bedenkt, welche traditionell große Bedeutung
Fairplay im marktbeherrschenden
anglo-amerikanischen Sprachraum hat: Während
des Spiels ändert man nicht dessen Regeln.
So heißt
es nun also: „Die Banken gewinnen immer.“
Aus Sicht des Steuerzahlers ist das äußerst
bedauerlich, denn als Staats- und Euro-Bürger wird er schlicht in Haftung genommen,
um den Casinobetrieb aufrecht zu erhalten. Beim regulierten Wetten 1.0-System haftet der Kunde nicht für Fehler der Bank. Bei
der Freigabe des Wetten 2.0-Systems
hatten die Staaten allerdings verabsäumt, sich als Bankkunden ebenso von der Haftung
auszunehmen. Die Finanzakteure handeln
deshalb in diesem Wettsystem höchst rational, da die Politik dafür gesorgt hat,
die Risiken für die Spieler gering zu halten. Daran war und ist nichts
Verbrecherisches, es sei denn, man sieht Unmoral im Rahmen geltendes Rechts als
Verbrechen an.
„Banker
in die Produktion!“ ist definitiv der falsche Slogan. „Politiker in die Produktion!“
wäre angebrachter. Aber in Wirklichkeit geht es gar nicht um Personen oder Berufsgruppen
– das Bankensystem und die gesamte Finanzbranche gehören umgekrempelt. Wetten,
egal worauf, darf sich nicht mehr lohnen.
[3] Inwieweit
Zentralbanken verbriefte Forderungen als Einlagen akzeptiert haben, ist mir
nicht bekannt. Selbst wenn, ist das an dieser Stelle irrelevant.
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