Sonntag, 6. Mai 2012

Wetten, dass…

Bei näherer Betrachtung wirkt es schon etwas merkwürdig, mit welcher verbalen Verve Politik und Medien in den vergangenen Jahren auf Banken, Hedgefonds etc. und deren Geschäftsmodelle eingeknüppelt haben. Mit Vorliebe wurden martialische Ausdrücke gebraucht, von denen Casino-Kapitalismus noch eines der harmloseren Epitheta ist. Vereinzelt war gar von organisierter Kriminalität oder mafiösen Strukturen die Rede. Es liegt mir wahrlich fern, die Finanzbranche in Schutz zu nehmen – vor einiger Zeit spielte ich selbst mit dem Gedanken, mich protesthalber vor der örtlichen Niederlassung der Deutschen Bank unter einem selbstgebastelten Plakat mit der Aufschrift „Banker in die Produktion!“ zu postieren. Dieser - mit anderer Ansprechgruppe - vor vielen Jahren populäre Slogan mag erst mal recht lustig wirken, mir schien es dann aber doch nicht gerechtfertigt, die armen Provinzfilialangestellten von Deutschlands größtem Kreditinstitut auf solche Art mit hauptamtlichen Angehörigen des MfS auf eine Stufe herab zu würdigen.
Das angesprochene Banker-Bashing will mir mittlerweile nicht mehr so recht einleuchten. Das riecht nach Nebelkerzen. Banken, egal ob Geschäftsbanken, Investmentbanken oder Fondgesellschaften, betreiben seit eh und je das Geschäft der Spekulation. Uns als einfachen Inhabern von Giro- oder Spar- oder Festgeldkonten mag das nicht  so präsent sein, und es fällt uns nicht einmal auf, wenn wir einen Kredit aufnehmen. Wir erwarten nur, dass das eingezahlte Geld verfügbar ist, das Sparguthaben um die vertraglich versprochene Rate steigt und ein Kreditzins während der Laufzeit nicht erhöht wird. Dass das so ist, liegt an unserer Stellung als Verbraucher, auf deren Seite der Staat mit seiner Verbraucherschutzgesetzgebung den vertrauensvollen Dritten im Verhältnis zu den Banken spielt. Was für Privatpersonen als Bankkunden gilt, gilt gleichermaßen für Unternehmen. In der Rolle von Geschäftsbanken sind Banken vertrauenswürdig, weil sie einer weitgehend kundenorientierten staatlichen Regulierung unterliegen. Doch zurück zur Spekulation.
Mit Geld arbeiten, heißt, es zu vermehren – durch Kredite. Eine Kreditvergabe ist ein Geschäft mit der Zukunft und deshalb stets spekulativ. Sie ist eine Spekulation darauf, dass der Kreditnehmer sich an die Kreditvereinbarung hält und den geliehenen Betrag zzgl. der Zinsen im vereinbarten Zeitrahmen zurückzahlt. Genauso ist eine Investition eine Spekulation darauf, dass sie sich lohnt, dass also das Investitionsobjekt am Ende des Tages mehr Geld abwirft als anfangs hinein gesteckt wurde. Der Geldgeber, gleich ob nun Bank oder Privatinvestor, geht gewissermaßen eine Wette darauf ein, dass sich seine Prognose erfüllt. Wie das mit Prognosen so ist, weiß man ja, denn sie betreffen die Zukunft, zu deren Attributen bekanntlich gehört, reichlich ungewiss zu sein. Das Geldgeschäft hat insofern den Charakter einer Wette, als es wegen der Ungewissheit der Prognose risikobehaftet ist. Lange Zeit wurde deshalb in der Geldtheorie auch angenommen, dass der Kreditzins als Risikoaufschlag anzusehen ist. Dass dem nicht ganz so ist, kann man u.a. in der Geldtheorie von Otto Steiger und Gunnar Heinsohn[1] nachlesen und auch an der aktuellen Krisenbewältigungsstrategie der EZB[2] erkennen.
Wir haben das Geldgeschäft nicht als Spekulations- und Wettgeschäft wahrgenommen, weil es, so lang es in den staatlich regulierten Bahnen abläuft, als solches nicht unbedingt erkennbar ist. Die Regulierungen dienen schließlich der Risikominderung für alle Beteiligten, auch für die Banken. Es konnte also nicht viel schief gehen und wenn doch einmal, dann war man durch Finanzaufsicht, BGB und Insolvenzrecht einigermaßen geschützt. Schwarze Schafe, hier also bösartige Spekulanten oder gar Hochrisikospieler, gibt es in jeder Branche. Betrüger sowieso. Und im Casino gilt ja eh: „Die Bank gewinnt immer.“ In diesem Sinne war der Finanzkapitalismus schon immer ein Casino-Kapitalismus und wetten sein Geschäftsmodell.
Was sich in dem Spielcasino geändert hat und von uns als ordinären Bankkunden nicht wahrgenommen werden konnte, obwohl es in den einschlägigen Medien thematisiert wurde, ist, dass neue Wettspiele hinzugekommen sind, ohne dass diese mit den erforderlichen Spielregeln versehen worden sind. Das schien zunächst auch nicht nötig zu sein, denn es handelt sich um Wettspiele, die die Banken und Investmentfonds zum allergrößten Teil miteinander austragen. Die spekulativen Geschäfte mit Kreditausfallversicherungen, verbrieften Wertpapieren oder irgendwelchen anderen Derivaten, mit Wetten auf steigende oder fallende Aktienkurse, Währungskurse oder Rohstoffpreise finden fast ausschließlich zwischen den Playern am Finanzmarkt statt und das z.T. auch außerhalb der öffentlichen Börsenplätze. Offenbar hatte man in der Politik angenommen, dass es sich dabei lediglich um casinointerne Umverteilungen handelt, die keinerlei gravierende Auswirkungen auf die sonstigen Geschäfte der Teilnehmer haben. Und lange Zeit hatte es ja auch den Anschein, als würde die dabei entstehende globale Finanzblase einen rein fiktiven, gewissermaßen virtuellen Geldwert darstellen, dem kein realwirtschaftlicher Gegenwert entspricht -reines Buchgeld also, dass nur zwischen den Finanzakteuren hin- und hergeschaufelt wird. Das Casino erschien so als eine Art Second Life der Finanzbranche und die Geldblase gefüllt mit Lindendollars.
Was dabei nicht oder nur unzureichend berücksichtigt wurde, sind m.E. drei Aspekte:
(1)  Die Wettspiele der höheren Art (man könnte sie auch Wetten 2.0 nennen) werden unter Einsatz auch von echten Dollars gespielt. Das System ist kein in sich geschlossenes. Das Interbankengeschäft mit Derivaten und verbrieften Forderungen benötigt monetäre Zuflüsse, denn es ist wie jede wirtschaftliche Aktivität im Kapitalismus dessen elementarer Wachstumslogik unterworfen. Und da es selbst kein Geld erzeugt, haben sich die beteiligten Banken und Fondgesellschaften am ihnen anvertrauten Geld der Anleger bedient und es als Einsatz ins Casino geworfen, natürlich mit der festen Absicht und dem Versprechen, es so zu vermehren. Auf ganz natürliche, systemimmanente Weise entstehen so Verflechtungen und Wechselwirkungen zwischen den Wetten 2.0 und den Wetten 1.0, die dann doch zur Schaffung von Geld führen müssen, um die Forderungen der Anleger zu erfüllen.
(2) Da die steuernde und regulierende Funktion der Börsen beim Interbankenhandel umgangen wird, entsteht ein selbstorganisierendes System, dessen Komplexität rapide anwächst. Mit der Zahl der Derivate und der beteiligten Akteure steigt die Zahl der möglichen Transaktionsbeziehungen exponentiell. Selbstorganisierende Systeme sind nichtlinear, d.h. ihr Verhalten ist - ähnlich wie beim Wetter - nur eingeschränkt und bestenfalls statistisch vorhersehbar. Die Systemtheorie lehrt, dass solche nichtlinearen, selbstorganisierenden Systeme tendenziell instabil sind und bereits kleinste Fluktuationen chaotische Auswirkungen bis zum Kollaps des Gesamtsystems haben können. Dabei ist die Frage gar nicht, wie hoch die Wahrscheinlichkeit für einen Kollaps ist, sondern nur wann er eintritt. Um eine Analogie zur Thermodynamik zu bemühen, bleibt ein selbstorganisierendes System nur dann dauerhaft am Leben, wenn es regelmäßig mit Energie versorgt wird, in diesem Fall also mit Anlegerkapital. Um nichts anderes bemüht sich wohl die EZB, wenn sie seit einiger Zeit hunderte Milliarden Euro in das europäische Bankensystem pumpt.
(3)    Der bereits zitierte Satz: „Die Bank gewinnt immer.“  gilt in diesem Casino nicht. Es gibt keine Bank im Sinne der klassischen Spielbank. Diese Rolle könnten die Zentralbanken oder der IWF oder eine andere globale Finanzbehörde eventuell ausfüllen. In Wirklichkeit geht das aber nicht, denn mit der Kopplung der Staatsschuldenfinanzierung an die Geschäfts- und Investmentbanken haben sich die Staaten und mit ihnen die Zentralbanken selbst zu Protagonisten des Wetten 2.0-Systems gemacht. Primär zwar nicht als Spieler, sondern als Wettobjekte, trotzdem macht sie das zu einem Teil des Systems.[3] Damit rächt sich nun die Vernachlässigung des Regelwerks bei der Freigabe des Casinobetriebs durch die staatlichen Aufsichtsbehörden. Dass sich die Finanzbranche vehement gegen die Einführung neuer Spielregeln wehrt, ist vor diesem Hintergrund nur zu verständlich, besonders wenn man bedenkt, welche traditionell große Bedeutung Fairplay im marktbeherrschenden anglo-amerikanischen Sprachraum hat: Während des Spiels ändert man nicht dessen Regeln.
So heißt es nun also: „Die Banken gewinnen immer.“  Aus Sicht des Steuerzahlers ist das äußerst bedauerlich, denn als Staats- und Euro-Bürger wird er schlicht in Haftung genommen, um den Casinobetrieb aufrecht zu erhalten. Beim regulierten Wetten 1.0-System haftet der Kunde nicht für Fehler der Bank. Bei der Freigabe des Wetten 2.0-Systems hatten die Staaten allerdings verabsäumt, sich als Bankkunden ebenso von der Haftung auszunehmen.  Die Finanzakteure handeln deshalb in diesem Wettsystem höchst rational, da die Politik dafür gesorgt hat, die Risiken für die Spieler gering zu halten. Daran war und ist nichts Verbrecherisches, es sei denn, man sieht Unmoral im Rahmen geltendes Rechts als Verbrechen an.
„Banker in die Produktion!“ ist definitiv der falsche Slogan. „Politiker in die Produktion!“ wäre angebrachter. Aber in Wirklichkeit geht es gar nicht um Personen oder Berufsgruppen – das Bankensystem und die gesamte Finanzbranche gehören umgekrempelt. Wetten, egal worauf, darf sich nicht mehr lohnen.


[3] Inwieweit Zentralbanken verbriefte Forderungen als Einlagen akzeptiert haben, ist mir nicht bekannt. Selbst wenn, ist das an dieser Stelle irrelevant.

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