Samstag, 26. Mai 2012

Die Partei


Als Martin Sonneborn und seine Titanic-Kollegen anno 2004 mit Der PARTEI an die Öf­fentlichkeit gingen, war jedem geistig halbwegs gesunden Menschen klar, dass es sich bei Der PARTEI um einen hübschen satirischen Fake handelt. Aus mir unerfindli­chen Gründen ist das bei den Piraten anders. Vielleicht liegt es ja daran, dass die Vertreter der Piratenpartei nicht über den Bekanntheitsgrad und den spaßpubli­zistischen  Hintergrund verfügen wie die PARTEI-Gründer und auch in ihren öffent­lichen Auftritten durchaus politische Ernsthaftigkeit zu vermitteln suchen. Mir jeden­falls fällt es schwer, die Piratenpartei ernst zu nehmen. Selbst wenn man annimmt, der inzwischen nicht unerheblichen Wählerschaft der Piraten ginge es primär um Protest, und die Piraten als aktuell einzig wählbare Alternative zu den ermüdend kor­rekten etablierten Parteien ansieht, stellt sich zumindest die Frage, was an den Pira­ten denn Alternative und was Protest sein soll. Und wenn Protest und Alternative, dann wogegen und wozu?
Umgehend wird man entgegnen können, den Piraten ginge es nach eigenem Bekun­den in erster Linie um einen anderen Politikstil, um Offenheit und Transparenz. Dann wäre also Glasnost nach einem guten Vierteljahrhundert auch in Deutschland angekommen. Nun sind Stilfragen im Politikbetrieb keineswegs unwichtig, im Gegen­teil: Ein Gutteil der Wählerermüdung rührt zweifelsohne her von der offensichtlichen Distanz zwischen eigener Alltagserfahrung einerseits und abgehobener Problem­wahrnehmung und Problemartikulation durch die politischen Akteure andererseits. Auch lässt sich nicht behaupten, das entgegen aller gut gemeinten Informationsfrei­heitsgesetze immer undurchsichtiger und z.T. undurchdringlicher werdende bürokra­tische Unterholz befördere den staatsbürgerlich-demokratischen Frohsinn. Insofern sind Offenheit, Transparenz und Bürgerbeteiligung sicher hehre Ziele, die zu verfol­gen Unterstützung verdient. Gerade ein anderer Aspekt der politischen Stilistik aber ist es, der nachdenklich stimmt.
Die Piratenpartei versteht sich selbst als sozialliberale Bürgerrechtspartei, sieht sich also gar nicht außerhalb vom oder randständig zum etablierten politischen Spektrum. Und so scheint es auch von Anfang an ihr Bestreben zu sein, auf ganz traditionellem Wege in die Parlamente zu kommen. Es mag an meinem Alter liegen, aber Alternati­ven und Protest stelle ich mir anders vor: Außerparlamentarische Opposition, Neues Forum, Attac, Occupy. Wenn es doch bei den Piraten nur etwas gäbe, was ein biss­chen nach Rebellion riechen würde... Fehlanzeige! Statt dessen nur allzu brave Forde­rungen nach weitgehend uneingeschränkten Kopierrechten auf digitale Inhalte und ansonsten nach allem Möglichen, das nach politischem und sozialem Fortschritt klingt, wobei die konkreten Inhalte ironischer- bzw. passenderweise überwiegend zu­sammen kopiert sind. Recht deutlich zeigt sich das bspw. an dem butterweichen und eigentlich lächerlichen Statement zur Leiharbeit, dem m.E. übelsten Übel auf dem Arbeitsmarkt: „Um sie nicht als Konkurrenz und Druckmittel gegen die Stammgesell­schaft [Gemeint ist wohl Stammbelegschaft, sic!] zu etablieren, stehen wir für eine Be­grenzung der Leiharbeit ein.“1 Da wird nicht einmal gefordert, da wird „eingestanden“. Und alles schön im Rahmen der vorgefundenen Verteilungsverhält­nisse. Das er­innert doch arg an die berühmte Partei für gemäßigten Fortschritt in den Schranken der Gesetze2 des Jaroslav Hašek.
Mein womöglich antiquiertes Verständnis von Wirtschaft und Moral sagt mir, dass das Internet keinen Wert an sich hat. Der Wert einer Festplatte  (nicht ihr Preis!) be­misst sich nicht an ihrem Fassungsvermögen oder ihrer Rotationsgeschwindigkeit sondern an der Relevanz der auf ihr gespeicherten Informationen. Politischen Dilettantismus in der Form kann man ja tolerieren oder gar sympathisch finden, intellektuellen Di­lettantismus in der Sache muss man sich keineswegs gefallen lassen. So gesehen er­scheinen die Piraten nicht, wie man gerne annehmen würde, als die Interessenvertre­ter eines digitalen Großstadtprekariats, sondern als sich elitär gerierende Mittel­schichtheinis und digitale Kostgänger. Sie verkörpern in meinen Augen die Verwechs­lung von Form und Inhalt bzw. reine Form ohne Inhalt und passen somit ganz wun­derbar in unsere deutsche Par­teienlandschaft.
Und genau aus diesem Grund sollte man die Piratenpartei nicht wählen. Nicht, dass ich den anderen Parteien mehr zutrauen oder sie für weniger eigennützig halten wür­de, aber in der realen Welt, in der man so wichtige Tätigkeiten wie Essen, Trinken, Ko­pulieren und Politikmachen verrichtet, ist eine Kopie nun mal von schlechterer Qualität als das Original. Wären die Abgeordneten der Piratenpartei bereit, sich ihre Diäten statt in Original-Euros in deren Papierkopien auszahlen zu lassen, könnte ich mir die Sache ja noch mal überlegen.

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