Als
Martin Sonneborn und seine Titanic-Kollegen anno 2004 mit Der
PARTEI an die Öffentlichkeit gingen, war jedem geistig
halbwegs gesunden Menschen klar, dass es sich bei Der PARTEI
um einen hübschen satirischen Fake handelt. Aus mir unerfindlichen
Gründen ist das bei den Piraten anders. Vielleicht liegt es
ja daran, dass die Vertreter der Piratenpartei nicht über den
Bekanntheitsgrad und den spaßpublizistischen Hintergrund verfügen wie die PARTEI-Gründer und auch in ihren öffentlichen
Auftritten durchaus politische Ernsthaftigkeit zu vermitteln suchen.
Mir jedenfalls fällt es schwer, die Piratenpartei ernst zu
nehmen. Selbst wenn man annimmt, der inzwischen nicht unerheblichen
Wählerschaft der Piraten ginge es primär um Protest, und die
Piraten als aktuell einzig wählbare Alternative zu den ermüdend
korrekten etablierten Parteien ansieht, stellt sich zumindest
die Frage, was an den Piraten denn Alternative und was Protest
sein soll. Und wenn Protest und Alternative, dann wogegen und wozu?
Umgehend
wird man entgegnen können, den Piraten ginge es nach eigenem
Bekunden in erster Linie um einen anderen Politikstil, um
Offenheit und Transparenz. Dann wäre also Glasnost nach einem
guten Vierteljahrhundert auch in Deutschland angekommen. Nun sind
Stilfragen im Politikbetrieb keineswegs unwichtig, im Gegenteil:
Ein Gutteil der Wählerermüdung rührt zweifelsohne her von der
offensichtlichen Distanz zwischen eigener Alltagserfahrung einerseits
und abgehobener Problemwahrnehmung und Problemartikulation
durch die politischen Akteure andererseits. Auch lässt sich nicht
behaupten, das entgegen aller gut gemeinten
Informationsfreiheitsgesetze immer undurchsichtiger und z.T.
undurchdringlicher werdende bürokratische Unterholz befördere
den staatsbürgerlich-demokratischen Frohsinn. Insofern sind
Offenheit, Transparenz und Bürgerbeteiligung sicher hehre Ziele, die
zu verfolgen Unterstützung verdient. Gerade ein anderer Aspekt
der politischen Stilistik aber ist es, der nachdenklich stimmt.
Die
Piratenpartei versteht sich selbst als sozialliberale
Bürgerrechtspartei, sieht sich also gar nicht außerhalb vom oder
randständig zum etablierten politischen Spektrum. Und so scheint es
auch von Anfang an ihr Bestreben zu sein, auf ganz traditionellem
Wege in die Parlamente zu kommen. Es mag an meinem Alter liegen, aber
Alternativen und Protest stelle ich mir anders vor:
Außerparlamentarische Opposition, Neues Forum, Attac, Occupy. Wenn
es doch bei den Piraten nur etwas gäbe, was ein bisschen nach
Rebellion riechen würde... Fehlanzeige! Statt dessen nur allzu brave
Forderungen nach weitgehend uneingeschränkten Kopierrechten auf
digitale Inhalte und ansonsten nach allem Möglichen, das nach
politischem und sozialem Fortschritt klingt, wobei die konkreten
Inhalte ironischer- bzw. passenderweise überwiegend zusammen
kopiert sind. Recht deutlich zeigt sich das bspw. an dem
butterweichen und eigentlich lächerlichen Statement zur Leiharbeit,
dem m.E. übelsten Übel auf dem Arbeitsmarkt: „Um sie nicht als
Konkurrenz und Druckmittel gegen die Stammgesellschaft [Gemeint
ist wohl Stammbelegschaft, sic!]
zu etablieren, stehen wir für eine Begrenzung der Leiharbeit
ein.“1
Da wird nicht einmal gefordert, da wird „eingestanden“. Und alles
schön im Rahmen der vorgefundenen Verteilungsverhältnisse. Das
erinnert doch arg an die berühmte Partei
für gemäßigten Fortschritt in den Schranken der Gesetze2
des Jaroslav Hašek.
Mein
womöglich antiquiertes Verständnis von Wirtschaft und Moral sagt
mir, dass das Internet keinen Wert an sich hat. Der Wert einer Festplatte (nicht ihr Preis!) bemisst sich nicht an ihrem
Fassungsvermögen oder ihrer Rotationsgeschwindigkeit sondern an der Relevanz
der auf ihr gespeicherten Informationen. Politischen Dilettantismus
in der Form kann man ja tolerieren oder gar sympathisch finden,
intellektuellen Dilettantismus in der Sache muss man sich
keineswegs gefallen lassen. So gesehen erscheinen die Piraten
nicht, wie man gerne annehmen würde, als die Interessenvertreter
eines digitalen Großstadtprekariats, sondern als sich elitär
gerierende Mittelschichtheinis und digitale Kostgänger. Sie
verkörpern in meinen Augen die Verwechslung von Form und Inhalt
bzw. reine Form ohne Inhalt und passen somit ganz wunderbar in
unsere deutsche Parteienlandschaft.
Und
genau aus diesem Grund sollte man die Piratenpartei nicht wählen.
Nicht, dass ich den anderen Parteien mehr zutrauen oder sie für
weniger eigennützig halten würde, aber in der realen Welt, in
der man so wichtige Tätigkeiten wie Essen, Trinken, Kopulieren
und Politikmachen verrichtet, ist eine Kopie nun mal von schlechterer
Qualität als das Original. Wären die Abgeordneten der
Piratenpartei bereit, sich ihre Diäten statt in Original-Euros in
deren Papierkopien auszahlen zu lassen, könnte ich mir die Sache ja
noch mal überlegen.
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