Giorgio Agamben ist zweifelsohne populär.
Seine Texte werden breit besprochen und vom Fachpublikum weidlich auseinander
genommen. Ich mag sie trotzdem. Mir gefällt einfach sein Stil. Sein freier,
spekulativer Umgang mit den Themen sagt mir mehr zu, als manches tiefschürfende
Abarbeiten an der Faktizität des Gegenstands.
Das schmale Sammelbändchen Profanierungen[1] aus
dem Jahr 2005 enthält folgenden kurzen Text:
Wünschen
Wünschen
ist das Einfachste und Menschlichste, was es gibt. Warum können wir uns dann
ausgerechnet unsere Wünsche nicht eingestehen, warum fällt es uns so schwer,
sie zur Sprache zu bringen? So schwer sogar, daß wir sie schließlich verborgen
halten, irgendwo in uns eine Krypta für sie bauen, wo sie einbalsamiert liegen
und warten.
Wir
können unsere Wünsche nicht zur Sprache bringen, weil sie Einbildungen von uns
sind. Die Krypta enthält in Wirklichkeit nur Bilder, wie ein Buch für Kinder,
die noch nicht lesen können, wie die Images d‘Epinal eines Volkes, das
weder lesen noch schreiben kann. Der Körper der Wünsche ist ein Bild. Und was
wir uns an einem Wunsch nicht eingestehen können, ist das Bild, das wir uns von
ihm gemacht haben.
Jemandem
unsere Wünsche ohne die Bilder mitzuteilen ist brutal. Ihm unsere Bilder ohne
die Wünsche mitzuteilen ist fad (wie das Erzählen von Träumen oder Reisen).
Aber leicht in beiden Fällen. Die Wünsche als Einbildungen und die Bilder als
Wünsche mitzuteilen ist die schwierigste Aufgabe. Deshalb verschieben wir sie.
Bis zu dem Augenblick, in dem wir zu verstehen beginnen, daß sie für immer ungelöst
bleiben wird. Und daß der Wunsch,
den wir uns nicht eingestehen können, wir selbst sind, für immer in der Krypta
eingeschlossen.
Der
Messias kommt wegen unserer Wünsche. Er trennt sie von den Bildern, um sie zu
erfüllen. Oder eher, um zu zeigen, daß sie schon erfüllt sind. Was wir uns
eingebildet haben, haben wir schon bekommen. Unerfüllt — bleiben die Bilder
des Erfüllten. Aus den erfüllten Wünschen baut er die Hölle, aus den
unerfüllbaren Bildern den Limbus. Und aus dem eingebildeten Wunsch, dem reinen
Wort, baut er die Seligkeit des Paradieses.
Man kann diesen Text
auch als Spekulation darüber lesen, warum wir uns einen Messias wünschen:
Paradies ist ein Wort für ein
Bild, das in der Genesis wiederum mit Worten beschrieben ist. Das Bild vom Paradies
ist für uns also ausschließlich durch den Wortlaut der Genesis-Erzählung
gegeben. Hinter der Sehnsucht nach dem Paradies verbirgt sich ein Wunsch, den
wir uns nicht selbst einbilden wie unsere anderen Wünsche, sondern dessen
Einbildung uns die Bibel (wie auch der Khoran) im Wort vom Paradies vorgibt.
Denn: Im Anfang war das Wort.
Profanierung
des Wünschens hieße
dann, sich von der definitorischen, bildnerischen Macht des gegebenen Wortes
frei zu machen und seine Wunschbilder selbst in die Worte zu
fassen, die es dem Messias am Ende der Zeit ermöglichen, jedem von uns sein
eigenes Paradies zu übergeben.
[1] Giorgio Agamben, Profanierungen,
Suhrkamp 2005
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