Dienstag, 17. Januar 2012

Verblendung (The Girl with the Dragon Tattoo) von David Fincher


Es fällt nicht schwer, sich gedanklich auszumalen, wie David Fincher ins imaginäre Kopfkissen gebissen haben mag, als er vor drei Jahren - möglicherweise ja zufällig - die schwedische Erstverfilmung der Millenium-Trilogie gesehen hat. Die Romanvorlage wird er kaum gekannt haben, schließlich wurde Stieg Larsson selbst in Europa erst durch die Verfilmungen richtig populär. Klar ist jedoch: Millenium ist eindeutig Fincher-Stoff. Keinem Hollywood-Filmemacher scheint der Stoff mehr auf den Leib geschnitten zu sein, als dem Regisseur solcher Großtaten wie SevenThe Game oder Fight Club.
Schon nach wenigen Filmminuten, spätestens aber, wenn Blomkvist auf die Bibelzitate in Harriets Nachlass stößt, ahnt man, dass Fincher seinen Film nicht gedreht hat, um, wie verschiedentlich unterstellt wurde, aus rein geschäftlichen Interessen eine Version für den US-Markt zu schaffen, sondern er, David Fincher, wollte für sich seine Version von Verblendung. Und so ist denn der Film auch alles andere als kompatibel zum US-Markt, eher steht zu befürchten, dass er dort ein Kassenflop wird (lt. zelluloid.de sind es nach 4 Wochen 88 Mio. $ bei Produktionskosten von 90 Mio. $ ).
Finchers Verblendung ist in seiner Nähe zur Romanvorlage und seinem finsteren Realismus dann doch ein eher europäischer Film geworden und noch dazu ein politisch wohltuend inkorrekter. Statt Action gibt es rohe, stumpfe Alltagsgewalt. Und je länger die Geschichte dauert, desto mehr wird gequalmt. Die Mad Men lassen herzlich grüßen. Der kongeniale Soundtrack von Trent Reznor und Atticus Ross, die schon für die Filmmusik zu The Social Network verantwortlich zeichneten, untermalt die Handlung mehr symbiotisch als symbolisch und drängt sich nie in den Vordergrund. Wer die schwedische Erstverfilmung kennt, wird Noomi Rapace in der Lisbeth-Rolle vermissen und sich anfangs schwer tun mit Rooney Mara. Doch Mara ist vielleicht sogar die bessere Besetzung, denn sie wirkt in ihrer psychischen und physischen Fragilität noch schutzloser als die robustere Rapace. Die Diskrepanz zwischen Innen und Außen wirkt bei ihr noch radikaler. Auch Daniel Craig und Stellan Skarsgard bieten eine herausragende Performance.
Das aufdringliche, von einem Immigrant-Song-Cover unterlegte Intro als Kreuzung aus Musikvideo und James-Bond-Vorspann ist sicher Geschmackssache, zumal es so gar nicht zum Film passt. Hommage an Craigs Bond-Figur? Insgesamt aber setzt Fincher die Geschichte straff in Szene, und gut zweieinhalb Stunden Verblendung bieten eine sehr gelungene Kombination aus Thrill und Tiefgang. Fortsetzung folgt?

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Cui Bono? Zum Zweiten

  Betrachtungen nach der Europawahl 2024 Mit entsprechendem Profit wird Kapital kühn. 10 Prozent sicher, und man kann es überall anwenden;...