Dienstag, 25. März 2014

Allen Falken und Scharfmachern

angesichts der Krim-Krise

Große Kriege seit dem Zweiten Weltkrieg (mit Opferzahl)

Diese Liste enthält die zivilen Toten durch Infektionskrankheiten, Hungersnöte, Kriegsverbrechen, Völkermord usw. sowie die in Schlachten getöteten Soldaten, also die gesamte Anzahl der Kriegsopfer.
    55.000.000–60.000.000: Zweiter Weltkrieg (1939–1945)
    20.000.000: Zweiter Japanisch-Chinesischer Krieg (1937–1945)
    3.800.000–5.400.000: Zweiter Kongokrieg (1998–2003)
    2.500.000–3.500.000: Koreakrieg (1950–1953)
    2.300.000–3.800.000: Vietnamkrieg (gesamt 1955–1975)
    300.000–3.000.000: Bangladesch-Krieg (1971)
    1.500.000–2.000.000: Afghanischer Bürgerkrieg und sowjetische Intervention (1979–1989)
    1.300.000–6.100.000: Chinesischer Bürgerkrieg (1928–1949)
    1.000.000: Erster Golfkrieg, Iran-Irak (1980–1988)
    1.000.000: Zweiter Sudanesischer Bürgerkrieg (1983–2005)
    1.000.000: Biafra-Krieg, Nigeria (1967–1970)
    900.000–1.000.000: Mosambiks Bürgerkrieg (1976–1993)
    800.000–1.000.000: Bürgerkrieg in Ruanda (1990–1994)
    800.000: Bürgerkrieg der Republik Kongo (1991–1997)
    570.000: Eritreas Unabhängigkeitskrieg (1961–1991)
    550.000: Somalischer Bürgerkrieg (seit 1988)
    500.000: Bürgerkrieg in Angola (1975–2002)
    500.000: Bürgerkrieg in Uganda (1979–1986)
    200.000-240.000: Jugoslawienkrieg (1991-1999)
    393.000–942.000: Irakkrieg (2003-2011)
Es sind weltweit mindestens 25 Millionen Menschen nach Ende des Zweiten Weltkrieges durch Kriege gestorben. Im 20. Jahrhundert starben circa 100–185 Millionen Menschen durch Kriege.

***

Mit der zeitlichen Entfernung vom Krieg sinkt für die Menschen wohl der Wert des Friedens. Es ist gleichsam wie das Abflauen des Verliebtseins nach zwei, drei Jahren – am Beginn war alles eine große Euphorie: Endlich Frieden! Doch nach Jahren des ruhigen Zusammenlebens verblasst die Erinnerung und Unruhe macht sich breit: Sehnsucht nach Veränderung kommt auf. Und der Mensch geht wieder ins Risiko, wohl ahnend, was ihm schlimmstenfalls widerfahren könnte, und doch tut er es. Er geht wieder auf die Jagd. Und damit in die Unfreiheit, denn Frieden schafft die Möglichkeit von Freiheit, Krieg hingegen das Gegenteil.
Die einzige Freiheit, die der Krieg zu bieten hat, ist die Freiheit zum Töten.
Was mich wirklich stört und in gewisser Weise zugleich zornig und traurig macht, ist die allgemein verbreitete Geschichtsvergessenheit, ja Geschichtsignoranz eines großen Teils unserer politischen Klasse, die spätestens mit dem Gespann Schröder/Fischer erst salonfähig, dann Mainstream wurde und nun mit den hysterischen Äußerungen des Unheilsgeschwaders Merkel/Steinmeier/Gauck/von der Leyen ihren vorläufigen Höhepunkt erreicht hat. Ich meine damit die Unfähigkeit oder Unwilligkeit, sich und das eigene politische Handeln auch aus der Perspektive des oder der Anderen zu sehen und zu bewerten. Und die Anderen sind die, deren Länder einst besetzt waren und auf deren Boden im Namen des deutschen Volkes die wohl schwersten systematischen Verbrechen der Menschheitsgeschichte begangen wurden.
Es mag an meiner ganz persönlichen Lebensgeschichte und auch der meiner Familie liegen, dass ich in diesen Angelegenheiten wohl besonders sensibel bin.


Dieses Bild stammt vom Google-Service Street View. Es zeigt das Blockadedenkmal in St. Petersburg, das die Form eines stilisierten, aufgebrochenen Ringes hat und damit, sowie mit einem unterirdisch eingelassenen Museum an die fast 900 Tage und Nächte dauernde und über eine Millionen Menschenleben kostende Blockade der Stadt durch die Wehrmacht zwischen September 1941 und Januar 1944 erinnert.
Acht Jahre lang habe ich in dieser Stadt, die damals noch Leningrad hieß, gelebt. Eher ungewollt und zufällig ging ich am Nachmittag meines 19. Geburtstages zum Blockadedenkmal und verbrachte dort fast zwei Stunden damit, über Geschichte, Gegenwart und Zukunft nachzudenken. In den folgenden Jahren wurde der Besuch des Blockadedenkmals am Geburtstag wie auch das sinnierende Verweilen dort zu einem persönlichen Ritual, das neben der von sowjetischen Kommilitonen und anderen Gesprächspartnern erzwungenen Auseinandersetzung mit der deutschen Geschichte entscheidend dazu beitragen sollte, mich selbst als Deutschen auch in der Mitverantwortung für die jüngere deutsche Geschichte zu sehen. Das mag etwas pathetisch klingen, entspricht aber den Tatsachen. 
Mein Großvater war NSDAP-Funktionär und, wie seine Hinterlassenschaft aus dem Ersten Weltkrieg zeigt, ein strammer Nationalkonservativer, einer, auch an dessen Wesen wohl die Welt genesen sollte. Er beendete sein Leben im Herbst 1945 in einem sowjetischen Straflager an der Elbe.
Ich halte nichts von der so genannten Kollektivschuld, die wir ewig mit uns herum zu schleppen hätten. Ich glaube aber, dass es kollektive Dispositionen und Intentionen geben kann, und dass solche tief in der Sozialpsychologie einer Nation angelegt sein können. Bei uns Deutschen zählen m.E. dazu: Rechthaberei, Besserwisserei, Verdrängung und Hochmut. Und solche Dispositionen und Intentionen können zu kollektiver Irrationalität und präanimalischem Verhalten führen, wie man in Elias Canettis „Masse und Macht“1 vortrefflich nachlesen kann. Dies eben ist meine Befürchtung, dass unsere Geschichtsvergessenheit im Verbund mit Wirtschaftsmacht, Medienhysterie und Hochmut uns wieder in die kollektive Ir­rationalität treiben könnte.


1 Elias Canetti. Masse und Macht. Fischer TB, 2011

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